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Der Widerstand der Adivasi in Indien

Ein Gespräch mit Xavier Diaz über die Neuausrichtung des Widerstandes der Adivasi in den Bergbauregionen Indiens.

Xavier Diaz ist der Koordinator des Bindra institut for research, study and action, kurz B.I.R.S.A. (http://www.birsa.org). Es ist das bedeutendste Monitoringzentrum für Bergbau im indischen Bundesstaat Jharkhand. Weiter ist Diaz Regionalbeauftragter der Organisation „Geschädigte des Bergbaus“ und Herausgeber des monatlichen Magazins „Adikar - Bergbau, Bodenschätze und Bürgerrechte“. Xavier Diaz hat in Bengalore studiert. In den 70er Jahre unterstützte er die Befreiungsbewegung Bangla Deshs. Dann wurde er Mitglied der All India Catholic Federation und arbeitete in sozialen Projekten. „Doch“, so sagt er heute, „ich fand schnell heraus, dass es gesellschaftlich nicht um Mildtätigkeit, sondern um soziale Gerechtigkeit geht.“ 1974 ging er nach Jharkhand. Er unterstützt politische Widerstandsorganisationen der sozial diskriminierten Adivasi, der Ureinwohner Indiens. Mit Xavier Diaz sprach Christoph Burgmer

ZAG:
Die Gesellschaften der Ureinwohner Indiens sind in der indischen Verfassung mit einem rechtlichen Sonderstatus bedacht. Anders als Ureinwohner in Asien und Südamerika haben sie die Möglichkeit, juristisch gegen Diskriminierung und Ausbeutung vorzugehen. Die Adivasi stellen ca. 8% der indischen Bevölkerung. Die Adivasi, das heißt Mensch, erster siedelnder Mensch, wie sie sich selbst nennen, unterscheiden sich kulturell, historisch und sprachlich von der indischen Mehrheitsgesellschaft. Warum richtet sich der Widerstand der Adivasi gerade gegen den Bergbau?

Xavier Diaz:
Der Widerstand gegen transnationale Bergbauunternehmen ist für die Adivasi der aktuellste Ausdruck, sich gegen Diskriminierung und Kolonisierung zur Wehr zu setzen. Dazu muss man wissen, dass für sie die Kolonisierung vor über 1000 Jahren mit der Einwanderung der Arier, der Brahmanen begann. Den technologisch höher stehenden Brahmanen ging es um die Eroberung des Landes. Es folgten die Mogule, dann die britische East India Company, danach der britische Staat. Die Globalisierung begann für die Adivasi vor 200 Jahren. Briten und die muslimischen Mogule kamen als Händler und Plünderer in die Region. Aus den Händlern sind dann Herrscher geworden. Damit ist der Begriff der Globalisierung genauso simpel wie eindeutig beschrieben: Globalisierung ist das Verschmelzen von Handel, Ausplünderung und Herrschaft. Gegen diese Art politisch-ökonomischer Invasionswellen formiert sich der aktuelle Widerstand der Adivasi. Letzte Etappe waren Bahnbesetzungen. Dazu muss man wissen, dass das indische Eisenbahnnetz die selbe Funktion wie Autobahnen im Westen haben. Tausende Menschen, symbolisch mit Pfeil und Bogen bewaffnet, blockierten mehrere Tage eine zentrale Bahnlinie von Bombay nach Kalkutta. Inwieweit diese Form zivilen Widerstands erfolgreich ist, wird sich zeigen. Die Landesregierungen jedenfalls gaben dem Druck zunächst einmal nach und sicherten die Überprüfung von Landenteignungen zu.

ZAG:
Jharkhand wurde als indischer Bundesstaat erst 2000 unabhängig. Warum ist dieser Widerstand gerade hier so stark?

Xavier Diaz:
Jharkhand stellt 80% der Bodenschätze für den indischen Energiebedarf bereit. Hinzu kommen neben bedeutendem Kupferabbau noch 23 weitere Mineralien, die abgebaut werden. Dadurch profitiert über die indische auch die globale Wirtschaft. Das Besondere an der Entwicklung des Bergbaus in der Region ist die Ausbeutungsquantität. Heute erwirtschaftet der Bergbau in 10 Jahren soviel wie zuvor in 100 Jahren. Im Namen der nationalen Entwicklung des Dritte Welt Staates Indien werden die Bodenschätze abgebaut, aber es wird keine soziale und ökonomische Entwicklung zurücktransferiert. Selbst die Arbeitskräfte werden aus dem Süden Indiens hierher gebracht. Deshalb bezeichnen wir Jharkhand als Vierte Welt.

ZAG:
Können Sie uns ein Beispiel für das Zusammenspiel von internationalen Organisationen, transnationalen Unternehmen und regionaler Administration geben?

Xavier Diaz:
Ein gutes Beispiel ist die Parej Kohlemine in Hazaribad. Sie gehört Coal India, einer staatlichen Minengesellschaft. Bevor man die Parej Mine errichtete, beantragte Coal India einen Kredit bei der Weltbank. Damit sollte die Zwangsvertreibung von Adivasi finanziert werden. Die Weltbank jedoch weigerte sich. Sie gewährte stattdessen einen Kredit für die Neuansiedlung der Adivasi in Höhe von 500 Millionen Dollar. Aber dieses Geld ist niemals für die Neuansiedlung ausgegeben worden. Eine Gruppe Adivasi richtete deshalb eine Beschwerde an den entsprechenden Ausschuss der Weltbank. Dieser fertigte einen Bericht über den Vorfall an, reiste sogar mehrmals nach Indien, um sich ein Bild zu machen und beschuldigte schließlich in ihrem Bericht sowohl die Weltbank selbst als auch Coal India, das Geld veruntreut zu haben. Der Ausschuss forderte, das Geld gemäß den Vorgaben einzusetzen. Aber die Weltbank selbst folgte den Vorgaben ihres eigenen Beschwerdeausschusses nicht, sondern orientierte sich weiter an der gängigen Praxis der Verteilung von Entschädigungen an Ureinwohner. Dafür wurde sie in den vergangenen Jahren von zahlreichen NGO's heftig kritisiert - mit dem Ergebnis, dass man die Praxis offiziell änderte. Die Weltbank zahlt heute Entschädigungen nur noch an die jeweiligen nationalen Regierungen. Diese sind für die Verteilung der Gelder verantwortlich. Da aber nationale Regierungen, so auch die indische, Ureinwohner systematisch diskriminieren und benachteiligen, entzog die Weltbank den Ureinwohnern mit der veränderten Praxis eine wichtige internationale Plattform. Die Aufmerksamkeit und der Schutz der internationalen Öffentlichkeit wurden so ausgehebelt.

ZAG:
Wie verläuft die Auseinandersetzung zwischen transnationalen Unternehmen und Adivasi vor Ort?

Xavier Diaz:
Eine bekannte Praxis zur Zerstörung lokalen Widerstands wird auch in Jharkhand praktiziert, der Import landesfremder Arbeitskräfte. Vorraussetzung dafür sind Verträge mit dem Staat, die ihnen das Recht garantieren, eigene Arbeiter in die Minenregion mitbringen zu dürfen. So nahm die Bevölkerung Jharkhands zwischen 1991 und 2001 allein um 23 Prozent zu. Statistisch erhielt nur jeder 30. umgesiedelte Adivasi überhaupt Arbeit in den Minen, während 74 Prozent unter der international gesetzten Armutsgrenze von einem Dollar pro Tag leben müssen.
Wie funktioniert diese Manipulation also? Die Menschen stehen zu Beginn zusammen, also muss man sie gegeneinander hetzen. Dazu wählt man zunächst einige weniger gebildete, arbeitslose junge Adivasi aus, die in ihren Dörfern herumhängen. Ihnen verspricht man einen Job in der zukünftigen Mine, gibt ihnen für ihre Verhältnisse viel Geld, schenkt ihnen ein Moped und versorgt sie gut mit Essen und Trinken. Diese drei, vier Jugendlichen müssen als Gegenleistung nun in aller Öffentlichkeit erklären, dass sie bereit sind, das Land an das Unternehmen zu übergeben, zu verkaufen oder zu verleihen. Das spaltet die solidarische Gemeinschaft. Diese besteht in der Regel aus einigen Dörfern, die von Dorfvorstehern - so genannten Majhis - selbst verwaltet werden. Die Dörfer wiederum, zumeist etwa 25, sind zusammengeschlossen und wählen einen Pargana - einen Kreisvorsteher - der ihre Angelegenheiten regelt und der der eigenen Gerichtsbarkeit vorsteht, die die Adivasi haben. Gibt es Konflikte, rufen die Majhis den Pargana an, und es wird eine Gerichtsversammlung - die Panja - einberufen. Dies ist dann auch im Fall der Jugendlichen so. In der Regel verurteilt dieses Gericht die Jugendlichen zu einer Geldstrafe, einige tausend Rupies, weil sie die Regeln der Gemeinschaft verletzt haben. Verbunden ist dies mit der Warnung, dass - wenn sie so weiter machten - weitere Konsequenzen folgen würden. Diese bestehen in der Regel im Ausschluss der Jugendlichen aus der Dorfgemeinschaft. Die Jugendlichen bezahlen zwar die Strafe, aber beschweren sich dann beim Unternehmen. Dieses hat die Situation vorausgesehen und nur auf die Gelegenheit gewartet und der Jugendliche wird zur Polizei gebracht, um Anzeige wegen Nötigung zu erstatten. So werden die lokalen Adivasiautoritäten, die Majis und der Pargana vor ein lokales staatliches Gericht gebracht. Die Zuständigen für Adivasi in den Unternehmen bestätigen uns öfters, dass wenn es keine NGO´s gäbe, sie die Adivasi mit der Peitsche von ihrem Land verjagen würden. Ihrer Meinung nach sind die Adivasi jedoch überflüssig, da sie auf dem Land ohne Besitztitel leben, sie ihrer Meinung nach unproduktiv sind und zu nichts nütze sind. Sie sehen sich dadurch bestätigt, dass - wenn sie den Adivasi das Land für einige Rupien abkaufen - diese mit dem Geld Alkohol kaufen, ihre Frauen danach in der Prostitution landen, und die Männer in den Slums als billige Tagelöhner ihr Leben fristen oder in die Slums der Großstädte abwandern. Ihrer Meinung nach sollte man den Adivasi deswegen überhaupt kein Geld geben. Am Besten wäre es, sie würden einfach verschwinden und arbeiten. Dieser Rassismus schlägt sich immer wieder in Pogromen nieder. In den Stahlstädten Orissas und Jharkhands haben internationale Konzerne quasistaatliche Macht bis hin zur Polizeigewalt. Der TATA-Konzern, einer der größten Stahlproduzenten der Welt, muss für seine rassistische Politik gegenüber den Adivasi vor einem internationalen Gericht angeklagt werden.

ZAG:
Woraus wird dieser Rassismus konstruiert?

Xavier Diaz:
Er speist sich aus dem Kastensystem. Adivasi und Dalits sind für die Brahmanenkaste und die anderen hohen Kasten keine Menschen. Verwaltung, Justiz und Politik wird von diesen Kasten dominiert. Sie verhindern jegliche Entschädigung. Gelingt es den Adivasi, politische Führungsstrukturen herauszubilden, werden diese sofort ins Ausbeutungssystem durch Bestechung assimiliert oder sie werden ermordet. Aber der Adivasiwiderstand hat eine lange Tradition. Seit dem 17. Jahrhundert kämpfen Adivasi gegen Kolonisatoren. Dennoch standen sie häufig auf verlorenem Posten, ihnen fehlte die Organisation des Widerstands. Noch 1982 wurden 17 Adivasiführer in einem Krankenhaus mit Bajonetten ermordet, ohne Konsequenzen für die Mörder. Gegen diese Willkür hilft nur Organisation. BIRSA wurde 1988/89 gegründet und ist die logische Konsequenz solcher Bemühungen, sich zu organisieren. Es ist ein Zusammenschluss engagierter ehemaliger Studentenvertreter mit lokalen Adivasiführern. Die Adivasiführer erkannten diese Notwendigkeit der Zusammenarbeit, z.B. mit einer Organisation wie JOHAR, die sich für die Menschenrechte einsetzt und die Anliegen der Adivasi bis in die internationale Plattformen vorantreibt. Das größte Problem war vor der UN durchzusetzen, dass die Adivasi und einige Dalitgruppen tatsächlich als Ureinwohner Indiens akzeptiert wurden. Die indische Regierung lehnte dies ab. Sie behauptete, dass alle Einwohner Indiens Ureinwohner seien, dass die indische Gesellschaft multikulturell und multiethnisch sei und dies die eigentliche indische Gesellschaft sei. Das ist jedoch falsch. Denn vor der Einwanderung der Arier lebten Menschen in Indien, die Ureinwohner.

ZAG:
Welche politischen Gruppen existieren in Jharkhand?

Xavier Diaz:
Es gibt viele kleine Gruppen. Wir sehen uns gemeinsam als Jharkhand Bewegung. Aber wir sind nicht homogen und zentral organisiert. Unser gemeinsames Ziel ist aber, für das Recht zu kämpfen, anders sein zu dürfen und auch die Kontrolle über die Bodenschätze zu haben. Eine der großen Veränderungen der Globalisierung ist das Zurückdrängen des Staates. In der UN sind demokratische Institutionen durch die Bretton Woods Institutionen, wie Weltbank und Internationaler Währungsfond ersetzt worden. Der indische Staat dient diesen Institutionen. Damit ist es heute für den Staat leichter, Adivasi oder Dalits auch innerhalb des Staates aufsteigen zu lassen. Da sein Einfluss gering ist, spielt es keine Rolle, ob ein Adivasi oder jemand sonst die Programme von Weltbank und IWF offiziell absegnet. Deshalb machte man Jharkhand auch 2000 zu einem neuen indischen Bundesstaat und kam so Forderungen der Adivasi nach Selbstbestimmung nach. Dass diese nicht gewährleistet werden, liegt auf der Hand.

ZAG:
In welchem Verhältnis steht die Adivasi- und Dalitbewegung zur organisierten Linken in Indien?

Xavier Diaz:
Es gab immer Spannungen zwischen den Basisbewegungen und den radikalen und revolutionären linken indischen Parteien. Sie bezeichneten uns häufig als pro imperialistisch, CIA unterwandert und „Metaideologisch“. Erst während des Weltsozialforums 2004 in Bombay begann eine Phase der Annäherung. Dennoch gibt es zwischen den Basisbewegungen und der Linken große Differenzen. Denn nicht immer sind die Basisbewegungen modernistisch. Ihre Sprach- und Kulturvielfalt, ihr fehlender Nationalismus und ihre Landverbundenheit passen häufig nicht in modernistisch geprägte, häufig monolithische Gesellschaftskonzepte. Es gibt in der Organisation des Widerstands große Unterschiede, Annäherungen zwischen maoistisch operierenden Gruppen und den Adivasi- und Dalitorganisationen in Jharkhand gibt es kaum.

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