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Das Fünfte Rad am Wagen

Alban Werner (ZAG)

Mit dem Einzug der Partei Die Linke in den westdeutschen Landtagen in Hessen, Niedersachen und Hamburg verändert sich das Gefüge des deutschen Parteiensystems. Die Wahrscheinlichkeit, dass dies eine dauerhafte Änderung sein wird, scheint hoch. Offen ist, wie sich die bereits etablierten Parteien gegenüber dieser Veränderung verhalten werden und ob durch den Zuwachs in den Landtagen auch tatsächlich neue Inhalte und Konflikte in die politische Landschaft getragen werden, die mehr sind als bloße Streitigkeiten innerhalb der politischen Klasse selbst.

Dass Die Linke es geschafft hat, weist zunächst auf eine gewisse Konsolidierung der Partei in der öffentlichen Wahrnehmung als auch ihrer inneren Verfasstheit hin: Noch vor zwei Jahren war sie bei den Landtagswahlen in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg unterhalb der Fünf-Prozent-Hürde verblieben. Sie befand sich damals mitten in einem (zum Teil von scharfen Kontroversen vor allem innerhalb der WASG gekennzeichneten) Diskussionsprozess, der zur Vereinigung führen sollte. Gleichwohl war es schon vor der Vereinigung gelungen, in Hessen und Niedersachsen bei den Kommunalwahlen relativ erfolgreich Stützpunkte aufzubauen. Mit dem formalen Abschluss des Vereinigungsprozesses im Sommer 2007 schließlich und der Unterstützung der kommunalen Basis waren bessere Grundlagen für die Landtagswahlen in diesem Frühjahr gegeben als zwei Jahre zuvor.

Dass die bürgerliche Presse und der politische Mainstream nicht mit Abscheu und beißender Polemik gegen die Erfolge der Linken sparen würden, war zu erwarten. Welches Ausmaß und welche Rücksichtslosigkeit die publizistischen Tiraden jedoch konkret auszeichnen sollte, hat selbst nüchterne Beobachter erstaunt. Allerdings gab Die Linke auch immer wieder eine wunderbare Zielscheibe ab: Dass sich eine DKP-Genossin auf der Landesliste der niedersächsischen Linken mit historisch absurden Rechtfertigungen des Berliner Mauerbaus und einer sozialistischen Agentur gegen reaktionäre Kräfte zitieren ließ, wurde zur Steilvorlage par excellence. Der Vorfall der unglücklichen, schnell aus der Landtagsfraktion ausgeschlossenen MdL Christel Wegner zeigt generell die Schlagrichtung, in der vermutlich die Auseinandersetzung mit der Linken in der medialen Öffentlichkeit geführt werden wird: Größtmögliche Marginalisierung der Inhalte soll mit grandioser Skandalisierung der Partei einhergehen – eine an der Sache orientierte Debatte findet selten statt: In der illustren Runde bei Anne Will brauchte es schon einen ausgebufften Ex-Minister und Ex-Parteigänger des Kommunistischen Bundes (KB) wie Jürgen Trittin, um mit wenigen kritischen Ausführungen zum rotroten Berliner Senat zu zeigen, dass sich Die Linke auch ohne antikommunistische Paranoia und Aufgeregtheiten politisch angreifen lässt.

Das größte Problem der Linken besteht denn auch tatsächlich in ihrem Erfolgsgeheimnis: Ihre Wahlerfolge verdankt sie vor allem Menschen, die mit der Wahl der Partei ihren Protest gegen die herrschende Politik Ausdruck verleihen wollen; an die Triftigkeit der zum überwiegenden Teil linkssozialdemokratischen Programmatik der Partei glauben dabei die wenigsten. Das Totschlagargument der unglaubwürdig agierenden »Denkzettelpartei « schwebt bedrohlich über dem Haupt der Linken, solange sie sich in der Berliner Landesregierung immer wieder (und wenn man einigen ihrer Minister glauben darf: auch gerne) »entzaubern« lässt und gleichzeitig im Westen als Formation auftritt, die sozialen Protest parlamentarisch artikulieren möchte. Die große Heterogenität der Linken im Westteil könnte zu Ihrem Vorteil werden, weil die Partei doch einiges an Integrationspotenzial gegenüber verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen bereithält. Wo der hämische Kommentar nur einen »bunten Haufen« oder eine »Chaostruppe « befürchtet, da kann sich auch eine tragfähige Bündnisstruktur entwickeln. Oder Die Linke schafft es – wie mit der Fraktion der Bremer Bürgerschaft zwischenzeitlich geschehen – sich aufgrund unpolitischer Peanuts und persönlicher Peinlichkeiten vor der Öffentlichkeit zu zerlegen.

Als nach der Bundestagswahl von 2005 die etablierten Parteien Lothar Bisky die Wahl zum Parlamentspräsidenten verweigerten, begingen sie strategisch einen schweren Fehler: Die mehrmalige Wahlniederlage Biskys half, die sehr verschieden zusammengesetzte Linksfraktion enger zusammenzuschweißen. Drei Jahre später sind die bürgerlichen Kräfte schlauer und versuchen die Linken ob ihrer zum Teil radikalen Mitgliedschaft als politikunfähig darzustellen: Gegen dieses Vorgehen erweisen sich vor allem einige der »Regierungssozialisten« als wenig immun. Es ist wahrscheinlich, dass es innerhalb der Linken noch laute Streitigkeiten um Positionen, Personal und Verhältnis zur SPD geben wird.

Der problematische Genuss

Sollte die Linke im Westen in den nicht unproblematischen Genuss einer Regierungsbeteiligung kommen, sei dies via Tolerierung einer rotgrünen Koalition oder gar durch formalen Regierungseintritt, dann hat die beispiellose Medienkampagne gegen die hessische SPD-Spitzenkandidatin Andrea Ypsilanti und den SPD-Vorsitzenden Kurt Beck einen plausiblen Vorgeschmack dafür gegeben, was die Partei an bürgerlicher Selbstbehauptung zu erwarten hat: Als wäre es nicht primäres Ziel der hessischen SPD gewesen, den schon zum zweiten Mal mit rassistischen Untertönen im Wahlkampf bewusst polarisierenden Roland Koch in den Ruhestand zu schicken. Als hätte nicht eine Ampel-Koalition mit der FDP den Verzicht auf die Umsetzung des eigenen Programms und eine große Koalition unter Führung der CDU die Wiederwahl des soeben abgewählten Koch bedeutet – nein, einzig wichtig war: Ypsilanti und Beck brechen ihr Versprechen »nicht mit der Linken« und gehören dafür an den Pranger. So lange und mit so viel Nachdrücklichkeit, bis die SPD in den Umfragen endlich wieder abstürzt.

Der Einzug der Linken hilft, politische Trennungslinien wieder deutlich zu machen, die nach der Hinwendung von SPD und Grünen zur »Agenda 2010« immer überflüssiger zu werden schienen. Mit weiteren linken Landtagsfraktionen wird es möglich sein, die Vorteile der Beteiligung an den Strukturen des Parlamentarismus zu nutzen: Den Regierenden auf die Finger zu schauen und gegebenenfalls konservative und neoliberale Reformvorhaben zu erschweren, im besten Falle sogar aufzuhalten oder rückgängig zu machen. Es ist mindestens erfreulich, wenn so Kürzungen im Sozial- und Bildungsetat, Privatisierungen öffentlicher Güter oder repressive Politik gegenüber Migranten nicht mehr geräuschfrei durchgepeitscht werden können.

Angesichts des extrem rücksichtslosen Auftretens der SPD-Rechten gegen eine weitere Öffnung zur Linken ist es aber unwahrscheinlich, dass eine linke Regierungsbeteiligung in so etwas wie eine radikalreformistische Parlamentspolitik münden wird. Zumindest nicht solange, wie die SPD sich noch vom politischen Erbe Gerhard Schröders in Geiselhaft nehmen lässt und die SPD-Linke es nicht wagt, ihre machtpolitischen Chancen zu nutzen und genauso rücksichtslos-machiavellistisch gegen ihre innerparteilichen Kontrahenten vom Seeheimer Kreis zurückzuschlagen. Insofern stecken beide Flügel der linken Sozialdemokratie in Deutschland in einem Formierungs- und Findungsprozess: Sowohl die Partei Die Linke als auch die sich links verstehenden SPD-GenossInnen müssen klären, was sie denn nun eigentlich wollen, wie sie es erreichen wollen und mit wem.

Der Einzug der Linken in die westdeutschen Landtage wird voraussichtlich zum Fünf-Parteien-System führen. Ob dies dazu führt, dass sich die politische Debatte in der Bundesrepublik vom provinziellen Niveau lösen wird, das sie in diesem Jahr bisher so leidenschaftlich zelebriert hat, bleibt aber abzuwarten.

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