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Aller Orten Islam, überall Muslime

Eine Einleitung (ZAG)

Die westliche Zivilisation wird in deutschsprachigen Zeitungen von Leuten wie Broder und Sarazin verteidigt, als ob SIE wieder vor Wien ständen. Die barbarischen Seiten des Westens werden beim Islam-Bashing gerne und schnell unter den Teppich gekehrt. Die deutsche Integrationspolitik schrumpft über die Symbolpolitik à la Islamkonferenz auf religiöse Fragen zusammen, Aspekte von sozialer Ungleichheit werden ausgeklammert.

Die Maßnahmen im Terrorkampf, Rasterfahndung und Kriegseinsatz; das Kopftuchverbot in baden-württembergischen Schulen für Lehrerinnen oder das Verbotsansinnen von Ganzkörperverschleierung in Frankreich in öffentlichen Einrichtungen; die Forderung nach Bauverboten für Moscheen in Köln und Berlin, Volksabstimmungen über Minarette in der Schweiz; die »Mohammedkrise« ausgelöst durch Karikaturen aus Dänemark oder ein Film von Geert Wilders in den Niederlanden, der Muslime provozieren wollte.

Weshalb die Aufregung über Burka, Moscheen, Kopftuch und Minarette in Medien und Politik? Wie kommt es zu den aktuellen Diskussionen um »den Islam«, seine Institutionen und Muslime? Ist es eine Diskussion über die Stellung von Religion in europäischen Gesellschaften? Oder zeigt sich hier eine neue rassistische Qualität? Bereits vor zehn Jahren hat die ZAG eine Nummer zu »Islambildern« (ZAG 34, 2000) herausgegeben. In der damaligen Ausgabe ging es noch um die neue Religiösität und religiösen Fundamentalismus. Bereits damals hat die Mehrheitsgesellschaft eine hysterische Debatte über den Islam geführt. Obwohl die Anschläge in den USA 2001 in der damals noch nicht vergangenen Zukunft lagen. Dennoch war nach dem Ende der Blockkonfrontation zwischen Ost und West ein neues Feindbild aufgetaucht. Lange unter der Oberfläche geblieben, gruppierten sich die Interessen an Religionen und Ethnien entlang. Der Islam und Muslime eigneten sich bereits damals in doppelter Hinsicht zur Selbstabgrenzung: als die Fremden im Orient und zugleich als die nahen unbekannten Immigrant_innen in Europa.

Die gegenwärtige Welle dieser Auseinandersetzung ist trotz aller Ähnlichkeit neu zu bewerten. Nicht nur liegt mit »9/11« eine Zäsur dazwischen, Kriege im mittleren Osten und neue Sicherheitsgesetze, die die Freiheit aller einschränken, aber nur manche treffen. Viele Punkte der nach dem 11. September 2001 im Eildurchlauf und weitgehend widerspruchsfrei die Parlamente passierenden Maßnahmen, standen schon länger auf der Wunschliste entsprechender Protagonisten. Doch wären sie ohne diesen Anlass so leicht nicht möglich gewesen. Mittlerweile ist die Islam-Debatte und Aktivierung antimuslimischer Ressentiments in der europäischen Rechten wie auch bei bürgerlichen Intellektuellen jederzeit fürs Köpfeabschlagen gut. Die europäische Rechte fragt sich noch, wen sie mehr hassen soll, ob Juden oder Muslime (siehe den Beitrag von Alexander Häusler), während bürgerliche Intellektuelle den Kampf um Zivilisation, Freiheit und Toleranz auf ihre Fahnen geschrieben haben und damit gegen Islam, Muslime und alle, die sich etwas differenzierter äußern und Toleranz fordern, ins Feld ziehen (siehe das Interview mit Ambalavaner Sivanandan, Iman Attia und Maike Weißpflug).

Was ist das nun, was wir da vor uns haben, Islamophobie, Islamfeindlichkeit, antimuslimischer Rassismus, Antiislamismus? Die Bezeichnung »Islamophobie«, wie sie auf der Durban Nachfolgekonferenz des UN Human Rights Council in Genf 2009 verwendet wurde, ist als gerne eingesetzter Kampfbegriff undemokratischer Regierungen beispielsweise des Irans oder Saudi Arabiens für emanzipatorische Zwecke unbrauchbar. Ihnen geht es um die Sicherung ihrer autoritären, religiös-fundamentalistischen Staatsvorstellungen und der pauschalen Abwertung ihrer Kritiker und Gegner als Rassist_innen. Doch wann ist der Begriff »Rassismus« passend, wenn man über antimuslimische Ressentiments spricht? Wie bringen wir die aktuellen Auseinandersetzungen, die sich am Begriff des Islam entzünden, auf den Punkt?

Es sind neue Positionen entstanden, wo sich rassistische und egalitäre Haltungen, wie Feminismus und Laizismus vermischen – Alice Schwarzer und Bischof Mixa in neuer Harmonie geeint: im Kampf für Frauenrechte die Unterdrückung der Frau im Islam anführen, die an Kopftüchern und Burkas offensichtlich würde; für eine freie Sexualität kämpfen und Muslime unter Generalverdacht stellen, da sie eh homophob seien; bessere Bildung und höhere Qualifikationen einfordern und behaupten, dass Araber und Türken »keine produktive Funktion, außer für den Obst- und Gemüsehandel«, besitzen. Die kleine Chance, sich selber auf Kosten anderer besser zu stellen, wird ergriffen. Der antimuslimische Diskurs erfüllt nationale und soziale Funktionen: Wir begreifen uns in Abgrenzung zu den anderen, er dient zur Selbstvergewisserung des normativ Gültigen. Aus dem Blick gerät, das Homophobie und Patriarchat – ganz ohne den Islam zu bemühen – ein Problem sind, weil unsere Gesellschaft die Vorurteile täglich reproduziert. Zudem nutzt er der Sicherung der bestehenden Ordnung, oben bleibt oben, nur das ganz unten wird rearrangiert. Hier wird kulturalisert und ethnisiert was das Zeug hält, eine Tendenz zur sozialen Spaltung nicht mehr in arm und reich, oben und unten, sondern wir und die (siehe Artikel von Constantin Wagner, Koray Yilmaz-Günay und den Beitrag der Kampgne »Integration, Nein Danke!« in der Debatte).

Dabei wird in Europa schon in den Parlamenten abgestimmt wohin es geht. Der Diskurs spaltet und eint über Parteigrenzen hinweg. In den Diskussionen fällt die starke Polarisierung auf, die differenzierten Positionen wenig Raum lässt. Sie zwingt zur Wahl zwischen Islamfreund und Islamfeind, Orient und Okzident. Die Rechten schaffen es, die Agenda zu bestimmen, auch ohne dass sie im Parlament sitzen müssten. Die Durchsetzung funktioniert in den einzelnen Staaten bei aller Ähnlichkeit des Diskurses unterschiedlich, besitzt aber eine europäische Dimension (siehe Artikel von Bernard Schmid zu Frankreich, Jereon Bosch zu den Niederlanden und Tobias Alm zu Dänemark). Angesichts der deutschen Situation mit der mehr oder minder erfolgreichen PRO-Partei, muss man nicht in Alarmismus verfallen. Problematisch sind bisher nicht ihre Wahlerfolge, sondern die politischen Ausdünstungen, die sie in Reihen bisher für zurechnungsfähig gehaltener Politiker_innen hinterlassen (siehe Ulli Jentsch).

Wie kann unter solchen Umständen eine linke, kritische und emanzipative Position aussehen, die weder vor Kritik des Islam als Religion, reaktionären Bestrebungen innerhalb der Mehrheitsgesellschaft sowie der migrantischen Community selbst halt macht, noch von der alltäglichen Diskriminierung aufgrund antimuslimischer Ressentiments schweigt? Bisher scheint klar: für die Frauen gegen das Patriarchat, für freie Sexualität gegen Homophobie etc. Wir, die wir dem »Ideal der Gleichheit« (Norberto Bobbio) verpflichtet sind, müssen differenzieren, wo andere verallgemeinern. Um Missverständnissen vorzubeugen: Nicht religiöse Aufklärung wollen wir betreiben, nicht um den akademisch passenderen Begriff wollen wir mit dieser Ausgabe streiten. »Man muss über die Täter und nicht über die Opfer sprechen.« Deren rassistische Strategie, ihre Erfolge in der Gesellschaft, die chauvinistischen Koalitionen, der konservative Islamdiskurs der runden Tische sind es, die rassistischen Intellektuellen den Weg bereiten, sich als Führer der Massen gegen bürgerliche Eliten und zugleich emanzipative Bestrebungen zu gerieren. Die Linke befindet sich in Europa in einer defensiven Postition und Wahlerfolge ändern daran noch nichts. Es geht um eine Neupositionierung der antirassistischen Arbeit. Bedürfnisse und Interessen gilt es zu organisieren. Nicht allein Debatten oder Wahlen wollen wir gewinnen, sondern es geht um nichts Geringeres, als die Welt zu verändern.

Eure ZAG

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