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Hoyerswerda – 20 Jahre danach

Und wenn wir in 20 Jahren wieder hinfahren, ist die Situation wieder die gleiche?

Am Nachmittag des 17. September 1991, einem Dienstag, überfielen rechte Skinheads vietnamesische Händler in Hoyerswerda. Nachdem einige von ihnen von der Polizei festgenommen worden waren, zogen rund 40 Neonazis vor das Vertragsarbeiterwohnheim in der Albert-Schweitzer-Straße. Wie haben Sie den Anfang der Angriffe wahrgenommen?

Manuel Nhacutou (MN): Ich war im Wohnheim. Plötzlich kam eine große Gruppe von Skinheads und fing an, mit Steinen und Flaschen auf unser Haus zu werfen. Wir haben dann natürlich reagiert, aber es kamen auch Nachbarn aus anderen Wohnblöcken. Innerhalb einer Viertelstunde waren wir umzingelt. Die Nachbarn ermutigten die Skinheads, klatschten in die Hände. Viele von denen, die ich vor dem Haus gesehen habe, waren keine Skins, sondern Nachbarn und Kollegen, mit denen ich jeden Morgen mit dem Betriebsbus zur Arbeit gefahren bin. Viele habe ich erkannt, das war schmerzlich. Aber ich kann nicht allen Nachbarn einen Vorwurf machen. Es war zu gefährlich. Die Polizei hätte uns schützen müssen. Das hat sie nicht getan.

Im Asylbewerberheim in der Thomas-Müntzer-Straße gingen die Angriffe zwei Tage später los.

Emmanuel Adu Agyeman (EA): Nach den ersten Abenden der Ausschreitungen in der Albert-Schweitzer-Straße erhielten wir eine Nachricht von unserem Sozialarbeiter, dass in der Nacht zum Freitag die Skinheads auch zu uns kommen wollten. Er sagte uns, dass wir in der Nähe des Wohnheims bleiben sollen, damit er etwas tun kann, falls etwas passiert. In der Thomas-Müntzer-Straße fuhr damals ein elektrischer Bus, tagsüber konnte man gar nichts machen. Nach 20 Uhr, als der Bus Feierabend hatte, wurde die Straße zum Schutz mit unseren Mülltonnen und Müllcontainern blockiert. Wir wissen gar nicht genau, woher die Skinheads gekommen sind. Einer kam mit dem Motorrad, ein Brandsatz flog ins Wohnheim. Später kamen viel mehr Skinheads, in der Nacht zündeten sie ein großes Feuer vor dem Haus an und schmissen Steine. Alle Fenster im Wohnheim waren kaputt. Wir sind dann alle aufs Dach hoch, damit niemand verletzt wird, und der Sozialarbeiter hat die Polizei angerufen. Nach zwei Stunden kam die Polizei – mit zwei Beamten. Die waren natürlich viel zu wenige gegen die Skinheads, und sie sind wieder gefahren. Um vier oder fünf Uhr morgens kam dann die Polizei mit Verstärkung. Bis dahin haben die Skins das Haus angegriffen, und unsere Nachbarn waren auch dort. Geholfen hat uns in dieser Zeit niemand.

Als wir später mit den Bussen aus Hoyerswerda evakuiert wurden, haben die Nachbarn an der Straße gestanden, haben applaudiert und sich gefreut, dass die Ausländer endlich weg sind – wie zwei Tage zuvor bei den Vertragsarbeitern.

Hoyerswerda war der Anfang einer bundesweiten Welle von Brandstiftungen und Überfällen auf Asylsuchende. Sie waren in Sassnitz auf Rügen im Flüchtlingsheim. Wie war Ihre Situation?

Emmanuel Gärtner (EG): Ich war im Asylbewerberheim in Sassnitz auf Rügen. Eines Abends, das muss Mitte November 1991 gewesen sein, kam der Sohn des Pastors zu uns, um zu sagen, dass viele Leute am Bahnhof stehen und unser Haus angreifen wollen. Wir sollen rennen, sagte er. »Wohin?«, fragte ich ihn. In dem Heim lebten 27 Afrikaner, aber an dem Abend waren vier nur zu viert. Zwischen sieben und acht Uhr abends sind sie gekommen, haben »Ausländer raus« gerufen, Steine und Molotowcocktails geworfen. Wir hatten vorher alle Flaschen, die wir hatten, mit Wasser gefüllt und uns auf die vier Ecken des Hauses verteilt. Als die Rechten in das Haus eindrangen, haben wir die Flaschen geworfen. Sie sind auf dem Betonboden zerplatzt, das war laut, Wasser ist gespritzt, da sind sie wieder abgehauen. Um acht hatten wir die Polizei gerufen, sie kamen eine Stunde später mit zwei Beamten – und sind wieder gefahren. Wir haben mit den Skinheads gekämpft, bis die Polizei mit genug Verstärkung kam. Ich musste irgendwann ins Kranken aus, weil ich eine tiefe Schnittwunde an der Hand hatte. Gegen Mitternacht war wieder Ruhe. Am nächsten Tag haben wir auf eigene Faust mit dem Zug die Stadt verlassen.

Das war eine ganze Weile nach Hoyerswerda, als die Technische Uni (TU) in Berlin schon besetzt war. Mein Anwalt sagte mir, da könne man mir vielleicht helfen, deshalb bin ich in die TU gefahren. Die anderen drei sind weiter nach Hamburg.

Sie waren seit 1983 als Vertragsarbeiter in der DDR. War der Rassismus vor der Wende auch so schlimm?

MN: Rassismus gab es, aber nicht in dem Ausmaß, wie wir das in Hoyerswerda erleben mussten. Wenn wir in eine Disko gegangen sind, gab es oft Schlägereien. Wenn die Polizei kam, hatten wir nie Recht. Die Deutschen hatten immer Recht. Das war eine andere Form, eher institutioneller Rassismus. Oder im Restaurant haben die Kellner immer komisch geguckt, wenn wir Essen gegangen sind. Das war noch ein bisschen zu ertragen. Aber 1991, das war zu viel. Die sind einfach zu weit gegangen. Angefangen hatte das kurz vor der Wende. Nach dem Mauerfall wurde es richtig schlimm. Ich habe bei der LAUBAG Braunkohletagebau von 1983 bis 1987 Kfz-Mechaniker gelernt und danach dort im Werkbereich Welzow gearbeitet – bis 1991.

Dann endete der Vertrag?

MN: Sagen wir mal so: Es hätte eine Möglichkeit zur Vertragsverlängerung gegeben, aber dann kamen diese Ausschreitungen. Da musste man einen Weg finden, schnell aus Hoyerswerda wegzukommen. Ich bin dann nach Berlin gekommen und bis 1995 geblieben. Dann bin ich endgültig nach Hause, nach Mosambik, zurückgekehrt.

Wann sind Sie nach Hoyerswerda gekommen?

EA: Im März 1991. Wir sind zuerst in das Flüchtlingsheim in Schlabach gefahren und weiter nach Hoyerswerda. Geflohen bin ich aus Ghana. In dem Flüchtlingsheim haben wir bis zu den Angriffen gewohnt.

Wohin wurden die Flüchtlinge aus Hoyerswerda gebracht?

EA: Wir wurden nach den Angriffen nach Meißen gefahren. Dort gab es 13 Ghanesen und zehn Angolaner; die sind aber auf eigene Faust nach Berlin gefahren. Leute von der Antifa kamen zu uns nach Meißen und boten uns an, nach Berlin zu kommen, um gemeinsam für unser Bleiberecht dort zu kämpfen. Nach drei Tagen fuhren wir nach Berlin. Zuerst wohnten wir in mehreren Kirchen und konnten dann gut einen Monat in Dahlem in der Villa vom verstorbenen Berliner Bischof Kurt Scharf bleiben. Dann wurde das Mathegebäude der Technischen Universität (TU) besetzt. Dort waren wir sechs Monate, bis wir die Erlaubnis bekamen, in Berlin zu bleiben.

Sechs Monate in einem Bürogebäude ist eine lange Zeit. Wie war das Leben in der TU?

EG: Wir hatten mehrere Zimmer mit Matratzen auf dem Boden, Badezimmer wurden improvisiert aufgebaut. In dem einen Stockwerk haben wir gelebt, gekocht, geschlafen. All unsere Treffen waren da, dort haben wir die Demonstrationen geplant. Aber die Situation in der TU wurde mit der Zeit immer schwieriger. Deshalb besetzten unsere Unterstützer_innen das Rote Rathaus, um einen Gesprächstermin mit dem Regierenden Bürgermeister Diepgen zu erzwingen. Er sagte Hilfe zu, aber nur für die, die beweisen können, dass sie angegriffen wurden. Bei denen aus Hoyerswerda war es klar, ich hatte den Polizeibericht von dem Angriff in Sassnitz. Alle, die das nicht beweisen konnten, wurden auch nicht legalisiert. Wir anderen bekamen das Recht, in Berlin für unser Asyl zu kämpfen.

Sie haben gemeinsam nach 20 Jahren Hoyerswerda besucht. Wie war es, wieder an diesem Ort zu sein?

EA: Verglichen mit 1991 hat sich die Stadt sehr verändert. Die Stadt ist jetzt grün, sie ist ein wenig kleiner geworden, es wurden viele Häuser abgerissen, auch das Asylbewerberheim in der Thomas-Müntzer-Straße, wo wir gewohnt haben. Wenn du hingehst, würdest du den Ort nicht wieder erkennen. Den elektrischen Bus gibt es nicht mehr, es hat sich sehr entwickelt. Aber die Köpfe der Menschen haben sich nicht geändert. Ich sage nicht: alle. Aber es gibt Leute, die immer noch faschistisches Gedankengut haben. Als wir am Wochenende dort waren und Manuel uns zeigen wollte, wo er gewohnt hat, wie er gelebt hat, gingen wir näher zu seiner alten Haustür in der Albert-Schweitzer-Straße 20. Da stand eine Gruppe Menschen, die angefangen hat uns zu beschimpfen. Andere kamen vorbei und sagten: »Was wollen die schon wieder hier?« Sie haben mit Bananen gewedelt. Und einer von denen wollte den Kameramann angreifen. Ich habe ihm gesagt, er soll die Klappe halten. Die Situation wurde brenzlig, weil sie per Telefon noch mehr Leute geholt haben, und wir haben dann die Polizei angerufen. Aber als die Polizei kam, wollten sie nicht von uns wissen, was die Situation war. Sie haben uns nur gesagt, wir sollen die Kamera ausmachen. Wir konnten nichts erklären, keine Anzeige erstatten, nur weil die Kamera lief. Dann kam eine andere Gruppe Polizisten, die haben sich gekümmert, sind zu den Rechten gegangen, die uns beleidigt haben. Der erste Polizist ist einfach im Auto sitzen geblieben. Wir dachten, man kann auch der Polizei nicht trauen. Sogar als da diese Gruppe Nazis uns angreifen wollte, waren wir nicht sicher.

MN: Nach dem Pogrom 1991 fanden wir die gleiche Situation vor wie vor 20 Jahren. Da gibt es nicht viel zu sagen. Damals haben sie gesagt, die Ausländer klauen uns die Arbeitsplätze. Aber ich lebe in Mosambik, die anderen beiden in Darmstadt und Ghana, wir wollten nur einmal gucken, wo wir früher gewohnt haben.

EG: Der Mann, der uns am schlimmsten beschimpft hat, war 1991 wahrscheinlich zwei oder drei Jahre alt. Vielleicht hat er damals neben einem Älteren, seinem Vater, seinem Nachbarn, seinem Bruder gestanden, als sie die Häuser angegriffen haben. Am Samstag stand noch ein kleines Kind neben der Gruppe und hat das alles gesehen. Und wenn wir in 20 Jahren wieder hinfahren, ist die Situation wieder die gleiche?

Was bleibt?

EA: Ein Denkmal in Hoyerswerda wäre eine gute Idee. Das wäre ein historischer Moment. Das Haus ist abgerissen, da ist jetzt ein Park. Aber niemand soll vergessen, was dort passiert ist. Die Deutschen dürfen nicht wegsehen, wenn so etwas passiert.

MN: Es ist sehr traurig, was in Hoyerswerda passiert. Sicher, Nazis gibt es auch anderswo, aber die Vergangenheit muss verarbeitet werden, denn sie gehört zur Zukunft, und Hoyerswerda hat mir keinen Mut gegeben, dass es je anders wird.

EG: Der Oberbürgermeister hat uns gesagt: Das war 1991 jetzt ist 2011, und nur eine Stunde später erleben wir das Gleiche wie 1991. Ist es der Oberbürgermeister oder die Bevölkerung von Hoyerswerda, einer von beiden kann da nicht richtig sein.

Personen

Emmanuel Gärtner kehrte nach 15 Jahren in Berlin zurück nach Ghana und ist heute als Geschäftsmann tätig.

Manuel Nhacutou lebte und arbeitete bis 1995 in Berlin und arbeitet heute als Buchhalter in Maputo/Mosambik

Emmanuel Adu Agyeman wohnt mit seiner Familie in Hessen und ist als Produktionsmitarbeiter beschäftigt.

Die Fragen stellte Jörg Meyer

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