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Wer nicht für uns ist ...

Vom schwierigen Umgang der Neuen Linken mit eigenen Tabus

Die Geschichte der Neuen Linken ist auch eine Geschichte von Tabus, Zensur und Sektierertum. Unmengen K-Gruppen in den Siebzigern, Autonome und Anti-Imps in den Achtzigern und die Antideutschen in den Neunzigern. Trotz aller ideologischer Differenzen hat sie stets eines geeint: die Gewißheit, was richtig und was falsch ist, worüber geredet werden darf und worüber nicht und wem das Rederecht, auch mit massiven Mitteln, abgesprochen wird.

Während sich die K-Grüppler in den Siebzigern meist gegenseitig aufs Maul schlugen um auszumachen, welche Gruppe denn nun die Flugblätter vor der Fabrik verteilen durfte, die eh kein Arbeiter lesen wollte, gingen die Interventionen der Autonomen deutlich weiter. Da gab es nicht nur eine interne Kleider- und Grußordnung sowie einheitliche Sprachregelungen, die es einzuhalten galt. Es wurden nicht nur Naziaufmärsche und Veranstaltungen der Neuen Rechten gestört und verhindert, sondern auch Schlingensieffilme mit Säure zerstört und Wiglaf Droste angegriffen. Besonders hart attackiert wurden immer diejenigen, die man früher, ob berechtigt oder nicht, zu den eigenen Reihen gezählt hatte. Da schimmerte, trotz aller Abgrenzungen, oftmals die stalinistische Abweichlerbekämpfung der "Wer nicht für uns ist, ist gegen uns"-Mentalität durch.

Die Verbissenheit hat glücklicherweise in den letzten Jahren nachgelassen, aber immer wieder tauchen diese alten Reflexe hier und da wieder auf.

Denn statt die eigene Geschichte zu reflektieren und zu diskutieren, wird oft mit dem Holzhammer zugeschlagen, wenn aus den eigenen Reihen auch mal gewagte Themen angeschnitten werden (z.B. die Sex-Nummer der Arranca!). Das führt letztendlich dazu, daß der Spiegel sich über einen Interim-Artikel lustig macht, in dem eine Frau erklärt, sie sei vergewaltigt worden, weil der Typ neben ihr im Bett mal angefragt hat, ob sie mit ihm schlafen wolle. Oder die Interim ein Titelblatt mit Schönbohm als Schafficker abdruckt und nach harschen Zuschriften dann den Plakatmachern vorwirft, wie sie denn überhaupt so ein Plakat entwerfen könnten. Zugegebenermaßen sind dies Extrembeispiele, die vermutlich auch bei vielen Linken zu Kopfschütteln führen. Trotzdem wird eine mangelnde Auseinandersetzung über Dogmen und Tabus innerhalb der Linken immer wieder solche Absurditäten zur Folge haben.

Dabei liegt das Problem nicht darin, daß es Tabus gibt. Es besteht die Gefahr, daß einmal ausgesprochene und festgelegte Tabus nicht mehr argumentativ begründet werden, sondern einfach unhinterfragt übernommen werden sollen. Letztendlich setzt man sich damit auf eine Stufe mit der bürgerlichen Doppelmoral des "Das war schon immer so".

Auch wenn man sich nicht vom angeblichen demokratischen Pluralismus täuschen lassen darf, so müssen benannte Tabus argumentativ begründet werden können, wenn sie nachvollziehbar werden und bleiben sollen.
Das gilt gerade für Auseinandersetzungen innerhalb der Linken. Statt immer nur nach Unterschieden zu suchen, auf den ideologischen Fehler des internen Gegners zu warten, um ihn dann als reaktionär enttarnen zu können, muß die Linke innerhalb ihrer eigenen Strukturen wieder eine Diskussionskultur entwicklen.

Nur dann kann sie an Attraktivität nach Außen gewinnen und der rechten Diskursverschiebung der angeblichen "Tabubrecher" offensiv entgegenwirken.

Jürgen Temming (ZAG)

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