zurück zur Inhaltsangabe

Die Stigmatisierung von Arabern

US-Einwanderungspolitik

Nach dem 11. September 2001 hat die US-Regierung etliche Repressalien gegen EinwanderInnen erlassen. Betroffen sind vor allem arabischstämmige Immigranten. Doch langfristig ist die relativ liberale Einwanderungspolitik der USA unumkehrbar. Es war eine der folgenschwersten Pannen bei der Fahndung nach den Washingtoner Heckenschützen. Am 21. Oktober fiel der Polizei im Bundesstaat Virginia ein weißer Kleintransporter auf. Die Beamten nahmen die beiden Insassen (einen 24jährigen Mexikaner und einen 35jährigen Guatemalteken) fest, fanden bald heraus, dass die beiden zwar nichts mit den Serienmorden zu tun hatten, aber dass sie sich illegal in den USA aufhielten – und übergaben sie der Abschiebepolizei.

Charles Moose, der Fahndungsleiter im benachbarten Maryland, war entsetzt: "Wir vermuten, dass sich manche Zeugen (der Morde) noch nicht gemeldet haben, Leute mit einem bestimmten Aufenthaltsstatus" – und die würden wohl nun erst recht einen weiten Bogen um die Polizei machen. Mit einem "persönlichen Appell an die Immigranten-Community" versuchte James Ziglar, der Chef der US-Einwanderungsbehörde INS (Immigration and Naturalization Service), zu retten, was zu retten war: "?elden Sie sich, wenn Sie Informationen in dieser Angelegenheit haben! Wir werden uns nicht nach dem Aufenthaltsstatus etwaiger Zeugen erkundigen." Ohne Erfolg, keiner der Tatzeugen meldete sich. Ein weiterer Mann wurde erschossen. Die mutmaßlichen Täter wurden erst Tage später gefasst. Andere Polizeichefs reagierten verständnislos auf das Verhalten ihrer Kollegen in Virginia. So sagte ein Polizeisprecher von San Diego (Kalifornien) der 'Los Angeles Times': "Die beiden (der Mexikaner und der Guatemalteke) haben kein Verbrechen begangen. Wir hätten die Einwanderungspolizei nicht eingeschaltet."

Diese Haltung ist typisch für den Pragmatismus vieler US-Behörden. Einwanderungspolizei und FBI sind Bundeseinrichtungen; dagegen beharren die kommunalen Polizeieinheiten auf ihrer Autonomie. Auch wenn die Bush-Regierung seit dem 11. September 2001 immer wieder versucht, die örtlichen Polizisten zur Kooperation mit der Einwanderungsbehörde anzuhalten, ist die Praxis meist anders. Den Lokalbehörden ist der Aufenthaltsstatus ihrer Klientel egal – ob bei einer Alkoholkontrolle im Straßenverkehr, beim Schulbesuch oder bei einer Kneipenrazzia des Gesundheitsamts. Wer dagegen in der BRD bei solchen Gelegenheiten ohne Papiere erwischt wird, landet in der Regel in Abschiebehaft.

Mittlerweile erkennen immer mehr Behörden die Identitätskarten an, die mexikanische Konsulate an 'papierlose' MigrantInnen ausstellen. In mehreren US-Bundesstaaten kann man mit einer solchen 'Matricula consular' sogar die Führerscheinprüfung ablegen. Die nüchterne Begründung des zuständigen Beamten in North Carolina: "?s liegt im Interesse aller Einwohner, dass Immigranten die Verkehrsregeln lernen und Versicherungen abschließen. Es ist nicht unsere Aufgabe, uns um die nationale Einwanderungspolitik zu kümmern." Sozusagen eine Legalisierung durch die Hintertür, aber ohne politische Rechte.

Vor dem 11. September 2001 hatte es noch rosiger ausgesehen. Im Juni 2001 hatte der Oberste Gerichtshof bekräftigt, dass die Grundrechte der US-Verfassung auch für die schätzungsweise neun Millionen 'papierlosen' Immigranten in den USA gelten. Im Juli empfahl eine Kommission unter Leitung von Außenminister Colin Powell und Innen und Justizminister John Ashcroft, mindestens eine Million 'Illegale' zu 'regularisieren'. In einer Rede vor dem US-Kongress forderte der mexikanische Präsident Vicente Fox Anfang September ein entsprechendes Gesetz. US-Gewerkschaften und Unternehmerverbände schlossen sich an. In der antirassistischen Bewegung drehte sich die Debatte fast nur noch darum, ob man eher eine Legalisierung bereits eingewanderter 'Papierloser' fordern sollte (was eher Latinos zugute käme) – oder nicht auch eine Ausweitung des Familiennachzugs (wovon vor allem asiatische Einwanderer profitieren würden). Doch diese Debatten haben sich mittlerweile erübrigt.

Denn dann kam der 11. September, und das einstürzende World Trade Center begrub unter sich nicht nur wohlhabende Banker und 'papierlose' Immigranten, sondern auch die Hoffnung auf ein liberaleres Migrationsregime. Danach kam es knüppeldick: Massenfestnahmen, Verhöre, Rasterfahndung und Abschiebungen. Die Grenzkontrollen wurden verschärft. Im laufenden Haushaltsjahr sind 50 Millionen Dollar für neue Abschiebegefängnisse eingeplant. Und die Zahl der (bereits im Ausland ausgestellten) Flüchtlingsvisa sank nach dem 11. September um mehr als die Hälfte.

In den Tagen nach den Anschlägen wurden mindestens 1200 Immigranten interniert und ohne Haftbefehl zum Teil monatelang festgehalten. Viele hatten wochenlang keinerlei Kontakt zu Verwandten oder Rechtsanwälten. In Anspielung auf lateinamerikanische Militärdiktaturen der 70er Jahre sprach die 'New York Times' in einem Leitartikel sogar von "Verschwundenen". Die Bush-Regierung habe innerhalb weniger Wochen ein "paralleles Rechtssystem für Nicht-US-Bürger geschaffen", in dem die üblichen rechtsstaatlichen Garantien nicht mehr gelten.

Die Mehrzahl der Internierten soll mittlerweile wieder frei sein, einige Hundert wurden abgeschoben (meist wegen geringfügiger Verstöße gegen Einwanderungsbestimmungen). Erst auf eine gerichtliche Anordnung hin gab das Innenministerium im Juni 2002 bekannt, dass neun Monate nach dem 11. September noch mindestens 147 Internierte auf eine offizielle Anklage warteten. Tatsächliche Terroristen oder Helfershelfer hat man auf diese Weise nicht gefunden.

Hinzu kommen viele kleine Schikanen und Diskriminierungen im Alltag. So hat die Rentenversicherungsbehörde ihre Routinekontrollen verstärkt. Denn viele 'Papierlose' Beschäftigte besorgen sich fiktive Sozialversicherungsnummern und zahlen ganz normal Steuern und Versicherung (auch wenn sie davon nichts zurückbekommen). Wenn die Firma allerdings herausfindet, dass die entsprechende Nummer gar nicht existiert, verliert man den Job – oder lässt sich erpressen, zu sehr viel schlechteren Bedingungen illegal weiter zu arbeiten.

Freilich sind nicht nur 'Papierlose', sondern auch völlig legale Immigranten, die seit Jahrzehnten in den USA leben, von solchen Schikanen im Namen der 'nationalen Sicherheit' betroffen. So verabschiedete der US-Kongress im Herbst 2001 ein Gesetz über schärfere Sicherheitskontrollen an Flughäfen. Neuerdings dürfen hier nur noch US-Bürger arbeiten. Die Folge: rund 8000 Immigranten verloren ihre Jobs. Und das Studieren an US-Hochschulen wird für Ausländer immer komplizierter und teurer.

Besonders betroffen von den Verschärfungen sind arabischstämmige Immigranten. Nach einer Zählung des Washingtoner '?iddle East Report' wurden seit Herbst 2001 insgesamt rund 20 neue Einwanderungsgesetze und Ausführungsbestimmungen erlassen. Davon betreffen 15 vor allem Araber. Im vergangenen Winter ordnete Innenminister Ashcroft an, landesweit mehrere tausend junge Männer über etwaige 'terroristische Verbindungen' zu verhören, die in den zwei vorangegangen Jahren aus moslemisch geprägten Ländern legal (!) in die USA eingereist waren. Und seit kurzem gelten verschärfte Visavorschriften für alle Staatsbürger aus Iran, Irak, Libyen, Sudan und Syrien.

Die Stigmatisierung von Arabern knüpft an alte rassistische Stereotypen an – und kam trotzdem überraschend. Denn bis vor kurzem galten 'Arab-Americans' (die bei der regelmäßigen US-Volkszählung übrigens als 'Weiße' eingestuft werden) nicht als potenzielle 'Schläfer', sondern eher als '?odel Minority' mit überdurchschnittlichen Einkommen und ungewöhnlich vielen Selbständigen und kleinen Gewerbetreibenden. Ähnlich wie vielen asiatischen Immigranten hielt man ihnen 'Unternehmergeist', 'Familiensinn' und andere amerikanische Sekundärtugenden zugute.

Trotzdem dürften die gegenwärtigen Schikanen keinen Einstieg in eine allgemeine Verschärfung der US-Einwanderungspolitik darstellen. Die US-Ökonomie würde ohne die vielen Millionen Immigranten zusammenbrechen – das gilt auch für die acht bis zehn Millionen 'Illegalen'. Ohne die Schaffenskraft von Immigranten würden die Problembezirke der Großstädte ebenso veröden wie viele ländliche Regionen. Seit der großangelegten Reform des Einwanderungsrechts im Jahr 1965 sind viele Millionen Menschen aus Lateinamerika, Asien und Afrika eingewandert. Die meisten sind längst eingebürgert - ihre in den USA geborenen Kinder sowieso.

Diese Entwicklung ist unumkehrbar – und wird mit jeder neuen Schikane sogar beschleunigt. Denn je prekärer die Situation von Immigranten ist, desto mehr lassen sich einbürgern (dies ist in den USA sehr viel unkomplizierter als in der BRD). Diese Reaktion ließ sich auch Mitte der 90er Jahre beobachten, als die Republikaner die Einwanderungsgesetze verschärften, die Sozialhilfe für legale Immigranten kürzten und in Kalifornien einen (später gerichtlich aufgehobenen) Volksentscheid gegen 'Papierlose' anzettelten. Dieser rassistische Kurs erwies sich als kontraproduktiv für die Partei. Denn viele Immigranten ließen sich daraufhin einbürgern und wurden als 'angry new citizens' zu einem wichtigen Wählerreservoir für die Demokraten.

Für 2001 wurden neue Rekordzahlen für Einbürgerungen und dauerhafte Aufenthaltstitel gemeldet; im laufenden Jahr rechnet man mit einem weiteren Anstieg. Die konkreten Zahlen zeigen übrigens sehr viel mehr Humanität (und weniger ökonomische Nützlichkeitserwägungen) als etwa das deutsche Zuwanderungsgesetz. Von den mehr als eine Million neuen Green Cards (2001) wurden rund zwei Drittel im Rahmen des Familiennachzugs erteilt. Gleichzeitig gab es 180.000 Arbeitsvisa.

Nun ja, auch diese Humanität ist relativ. Denn die Militarisierung an den US-Außengrenzen (vor allem zu Mexiko) geht weiter. Deswegen weichen viele 'Papierlose' auf die weniger überwachten Wüstengebiete aus – mit entsprechend größerem Risiko. Laut 'L.A. Times' sind beim Versuch, die Grenze zu überqueren, in den vergangenen sieben Jahren insgesamt rund 2.200 Menschen gestorben; die meisten ertranken oder verdursteten. Zum Vergleich: An der DDR/BRD-Grenze und der Berliner Mauer kamen von 1961 bis 1989 insgesamt 985 Menschen ums Leben.

Michael Hahn, Los Angeles

zurück zur Inhaltsangabe

Archiv