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Sicherheits-WM 2006
Spannung, Sport und Sicherheitswahn

Christian Schröder

Ein Spektakel wie die Fußball-WM 2006 erfreut nicht nur FußballliebhaberInnen, sondern führt in Zeiten allgemeinen Terrorwahns auch zu einer rasanten Intensivierung der Kontrollpolitik.

Ein gigantisches Räderwerk

Seit Monaten schon laufen die Vorbereitungen zur WM im Juni/Juli 2006 auf Hochtouren. So haben wir in der Vergangenheit erfahren, dass das Rasenkompetenzteam des FIFA-Organisationskomitees gut in der Zeit ist, uns aber weder den geheimen Aussaatort des offiziellen WM-Rasens noch dessen Saatgutmischung verraten will – streng geheim. Als würde die Standortkampagne „Deutschland - Land der Ideen“ nicht reichen, wirbt die Agentur für Arbeit in einer großen Werbekampagne mit platten Fußballanspielungen für nicht existente Arbeitsplätze. Der mit der WM erwartete Anstieg der Prostitution lässt auch schon einige PolitikerInnen wilde Pläne schmieden: Die grüne Gesundheitsstadträtin des Bezirkes Charlottenburg-Wilmersdorf, Martina Schmiedhofer, will etwa 100.000 Kondome um das Olympiastadion verteilen. Vielleicht sogar umsonst, wenn sie dafür einen Sponsoren findet. Dirk Lamprecht, CDU-Wirtschaftsstadtrat von Berlin-Mitte, möchte „Verrichtungsboxen“ aufstellen, um den „Straßenstrich“ zu verstecken.

Das Mammutprojekt der ganzen WM-Vorbereitung ist allerdings die Sicherheit. Nach einer mehrmonatigen Planungsphase steht es seit Mai diesen Jahres: das WM-Sicherheitskonzept. Und es übertrifft die kühnsten Erwartungen:

Schnüffel-Technik RFID

Schon im Vorfeld sorgten die „personalisierten“ WM-Tickets für Aufregung. Wer eine der raren WM-Karten erheischen wollte, musste für sich und maximal drei BegleiterInnen insgesamt 16 Datenfelder ausfüllen (Name, Adresse, Passnummer, Telefon, E-Mail, Fanzugehörigkeit etc.). Diese Daten wurden dann mit der 1994 eingerichteten Datei "Gewalttäter Sport" abgeglichen, in der etwa 6.200 Hooligans in Deutschland gespeichert sind. Für rund 2.700 von ihnen gilt ein Stadionverbot. Die Gesamtzahl deutscher "Problemfans" wird auf knapp 10.000 geschätzt – hinzu kommen Gäste aus dem Ausland. Wer als "Gewalttäter Sport" abgestempelt ist, hat keine Chance ins Stadion zu gelangen. Fanverbände wie das Bündnis Aktiver Fußball-Fans (BAFF) kritisieren die Willkür mit der Fans in der Datei landen, weil sie zur falschen Zeit am falschen Ort waren.

Die WM-Tickets selber sind mit RFID-Chips (Radio Frequency Identification) ausgestattet, winzige Computerchips mit Miniantennen, die elektronische Zugangskontrollen ermöglichen - entwickelt vom WM-Sponsor Philips. Lesegeräte könnten an relevanten Durchgängen wie am Tor zu jedem Block angebracht, die Fans ausspioniert und Bewegungsprofile der ZuschauerInnen im Stadion erstellt werden. Die Fußballfans werden zu Versuchskaninchen der RFID-Industrie und des Polizeiapparats. Denn die Fußball-WM wird der größte Einsatz der Schnüffeltechnik: eine flächendeckende Infrastruktur in Form kleiner Empfangsantennen soll aufgebaut und die gesellschaftliche Akzeptanz für die Überwachungstechnologie geschaffen werden.

Videoüberwachung

Obwohl der Berliner Innensenator Ehrhart Körting versprach, dass der Senat die Fußballweltmeisterschaft im kommenden Jahr nicht zum Anlass nehmen werde, "Berlins Plätze mit Videokameras voll zu kleistern", wird auf die BerlinerInnen wohl doch eine Rund-um-die-Uhr-Dauer-Videoüberwachung zu kommen. Etliche Überwachungskameras sollen installiert werden. Spezialkameras sollen biometrische Gesichtsmerkmale von Personen erfassen. Computer vergleichen die Daten dann mit den Gesichtern bereits erfasster „Problemfans“. „Closed Circuit Television“ (CCTV) heißt diese schlaue Technik. Die computergesteuerten Videoüberwachungskameras haben zudem den Vorteil, dass die Daten der englischen CCTV-Kameras mit den deutschen kompatibel sind. Hier geht es nicht nur um die Beobachtung und die Aufzeichnung von Bewegungen im öffentlichen Raum, sondern um den Abgleich mit vorhandenen biometrischen Dateien. In dieser Form ist dies vom Gesetzgeber noch nicht einmal beschlossen worden. Die Erfahrung der letzten Olympischen Spiele in Athen zeigt, dass es Polizei und Politik schwer fällt, sich von einmal installierten Überwachungskameras wieder zu trennen.

Technische Spielzeuge

Doch das ist noch lang nicht alles. Der fahrende Sicherheitsroboter Ofro der Firma "Robowatch Technologies GmbH", der aussieht wie ein Minipanzer, soll in den Stadien atomare, biologische oder chemische Gefahren aufspüren. Pausenlos sollen die kleinen Minipanzer mit einer Geschwindigkeit von bis zu fünf Kilometer in der Stunde die Gegend beobachten, von Thermokameras aufgenommene Bilder an die Zentrale übermitteln und gegebenenfalls Alarm auslösen. In Frankfurt entsteht zur WM das "Nationale Informations- und Kooperationszentrum", in dem AntiterrorexpertInnen des Bundesnachrichtendienstes, des Verfassungsschutzes und des Bundeskriminalamts sämtliche Informationen über mögliche Gefährdungen sammeln und auswerten.
Zusätzlich werden Sicherheitskräfte zur WM mit dem mobilen Fingerabdrucksystem "Fast Identification" ausgestattet. "Fast Identification" versetzt Polizeistreifen in die Lage, die Abdrücke von Zeigefinger und Daumen von Verdächtigen vor Ort mit Hilfe mobiler Fingerabdruckscanner digital abzunehmen und mit Datenbanken abzugleichen. Das "Automatisierte Fingerabdruck-Identifizierungs-System" (AFIS) wurde 1993 beim BKA eingerichtet und wird seitdem vom BKA und den Landespolizeien genutzt. Die AFIS Datenbank umfasst zur Zeit etwa 3.200.000 Fingerabdrücke und wird fortwährend mit Daten gespeist: pro Jahr werden rund 500.000 Fingerabdrücke digitalisiert und etwa 28.000 Abgleiche durchgeführt. Innenminister Otto Schily hat bereits angekündigt, dass bei der WM bis zu 200.000 Personenüberprüfungen gespeichert werden sollen.
Die Option für Alkoholverbote in Stadien und spontane Luftraumsperrung haben sich die deutschen Sicherheitsbehörden auch offengehalten. Und Schily hat auch schon angekündigt, das Schengener Abkommen zur Fußball-WM außer Kraft zu setzen und reguläre Grenzkontrollen durchführen zu lassen.

Generalproben und Warm-Ups

Die Generalprobe für das Sicherheitskonzept fand schon beim Confederations Cup im Juni 2005 statt, wo es teilweise umgesetzt wurde – erfolgreich, wie allseits versichert wird.
Auch die Polizei hat schon ihr Warm-Up begonnen. Vor Wochen übte sie in länder- und einheitenübergreifenden Aktionen schon mal das Erstürmen von Gaststätten und Diskotheken. In einem Sonderkommando-Einsatz stürmte die Polizei die Diskothek "Jeton" in Berlin-Friedrichshain, in der sich vor der Lokalpartie 1. FC Union Berlin gegen BFC Dynamo einige hundert Fans versammelt hatten, und ging mit äußerster Gewalt gegen die feiernden BFC-AnhängerInnen vor. Begründet wurde dies als präventiver Einsatz gegen die rechte Hooliganszene.

Diskussionen & Flucht

Der BUKO 29, der wenige Wochen vor der Fußball-WM in Berlin stattfindet, wird einen Schwerpunkt auf Kontrollpolitik und Innere Sicherheit in Zeiten des Terrorwahns haben. Tatkräftige inhaltliche und organisatorische Unterstützung wird noch gesucht.
Wer sich übrigens zutraut seine Wohnung für vier Wochen Fußballfans zu überlassen, kann sich über Berliner Zwischenmietagenturen vermitteln lassen. Die Preise sind gar nicht so übel und eine Möglichkeit, sich seine Flucht aus Berlin zu finanzieren.
 

Zum Weiterlesen:

zur RFID-Technologie:
http://www.foebud.org/rfid

Fußballfanvereinigungen:
http://www.aktive-fans.de - Bündnis Aktiver Fußball-Fans (BAFF): vereinsübergreifender Zusammenschluss von über 200 Einzelmitgliedern und vielen Faninstitutionen

allgemein zu Überwachung & Kontrollpolitik:
http://stop1984.com
http://www.cilip.de - Institut für Bürgerrechte & öffentliche Sicherheit e.V / CILIP Bürgerrechte & Polizei

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