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Die Kunst falsche Fragen zu stellen.

Einleitung

Für den Heftschwerpunkt einer antirassistischen Zeitschrift bieten sich nach wie vor zahlreiche Themen an: der sich immer weiter vollziehende Ausbau der Grenzen Europas, die immer reibungsloser vollzogenen Abschiebungen in Deutschland oder die neo-fundamentalistische Politik in Polen, um nur wenige Beispiele zu nennen.

Warum also beschäftigen wir uns in dieser Ausgabe ausgerechnet mit Verschwörungstheorien, zumal dieses Thema bisher ein nahezu zeitloser Dauerbrenner ist? Die letzte Hochphase stellte sich nach dem elften September ein. Die sich überschlagenden Ereignisse schrieen geradezu nach Erklärungen. Die Informationen, die in den meisten Medien zu den Anschlägen zu lesen, zu hören und zu sehen waren, glichen einander und übertrafen sich in Redundanz. Wer diese Not an Informationen nicht aushielt, sie zudem als Beweis einer Gleichschaltung der Medien las und mehr über die Hintergründe wissen wollte, musste spekulieren. Doch bot dieses Ereignis, das sich in so gar keinen kohärenten politischen Kontext einordnen ließ, einen schier unendlichen Raum für die wildesten Spekulationen. …und lieferte den Startschuss für eine ganze Welle von Weltverschwörungstheorien, denen es an Originalität mangelte und die in schlechter alter Tradition bei den Amerikanern anfingen und über diverse Geheimdienste bei den Juden endeten.

Wir wollten schon länger ein Heft über diese Form von Weltwahrnehmung und -erklärung machen. Grund dafür, ein Heft über diese Form von Weltwahrnehmung und Erklärung zu machen, war, dass sich beim Thema Verschwörungen nicht selten ein linker und rechter Zeitgeist trifft. Dies zeigte sich deutlich an den zahlreichen Mutmaßungen über einen angeblichen Zweck der Anschläge zum 9. September. Überschneidungen dieser Art machen uns skeptisch. Doch geht es dabei nicht um eine Polarisierung, sondern vielmehr um eine Klärung der ins Spiel gebrachten Standpunkte.

Was machen Erzählungen von Verschwörungen so attraktiv? Zum einen ist es wohl ihr unausgesprochen programmatischer Ansatz, von nicht weniger als vom Geheimen in Herrschaftsstrukturen zu reden, sie aufzudecken und sie auf ihren eigentlichen Ursprung zurückzuführen. Zum anderen sind es vermutlich die Geschichten selber, die ausschließlich von einer dunklen Seite der Macht erzählen, die unsichtbar im Verborgenen waltet und an die sich aus eben diesen Gründen so leicht glauben lässt.

So weit, so schlecht. Würden die AutorInnen von Verschwörungsliteratur sich als Literaten verstehen und der LeserInnenkreis als Literaturliebhaber, gäbe es kaum ein Problem. Doch werden die Werke durchaus nicht als Belletristik verstanden. Beweisführungen sind in verschwörungstheoretischen Abhandlungen wichtige Punkte, so abstrus sie auch sein mögen. Es wird gänzlich Alles äußerst kleinteilig mit schriftlichen und natürlich geheimen Dokumenten belegt, kommen diese auch von einem Verbund unzähliger Festplatten, die im Internet vernetzt sind.

Verschwörungstheorien erwecken so den Eindruck, kritisch zu sein. Ihre Vertreter zweifeln an Banalem besonders intensiv. Sie behandeln die Wahrheit ihrer allmächtig phantasierten Herrschaft wie eine verspiegelte Blackbox, der sie in jedem Fall nicht das entnehmen, was sie sehen. Das eigentlich Wirkliche muss sich irgendwie dahinter befinden. Doch sitzt bei soviel dualistischem Blödsinn der Fehler immer davor.

ZAG

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