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Ethno oder lieber Homo?

Kreuzberger Nächte sind lang

Koray Yilmaz-Günay

Ein Übergriff auf sieben Personen, die in der Nacht vom 7. auf den 8. Juli 2008 das Dragfestival im SO 36 verließen, hat bewirkt, was in zahlreichen anderen Fällen ausblieb; neben einer ungeahnt breiten Mobilisierungswirkung zur Spontandemo am Tag nach dem Übergriff begann eine über interessierte Kreise hinaus reichende Debatte über Homo- und Transphobie, die gerade deswegen eine neue Qualität erreichte, weil die Angreifer als Migranten identifiziert wurden. Ohne so artikuliert zu werden, geriet die Demonstration zu einem Testlauf für eine Debatte über Trans- und Homophobie, die nicht in ethnisierenden Kategorien denkt, sondern das Problem als gesellschaftliches Phänomen in den Mittelpunkt stellt.

Bisher war es – in der medialen Wahrnehmung – bürgerlichen Schwulenorganisationen und -projekten vorbehalten, »Homophobie« zu thematisieren, besonders dann, wenn die in aller Regel männlichen Täter einen »islamischen« Hintergrund hatten. Im Rahmen kulturalisierender Argumentationen wurde vor allem seitens des Lesben- und Schwulenverbandes (LSVD) mal vor »niederländischen Verhältnissen« gewarnt, mal die Einführung von »Muslimtests« auch in Berlin gefordert. Maneo, das »schwule Anti-Gewalt-Projekt in Berlin«, warnt immer wieder davor, dass das hässliche Gesicht der Homophobie nicht vollends sichtbar wird, wenn aus Gründen politischer Korrektheit Migranten als »Täter« nicht so benannt werden dürfen. »Homophobie« wird dabei in aller Regel verstanden als körperliche Gewalt gegen schwule Männer; spezifische Ausprägungen von körperlicher wie auch nicht körperlicher Gewalt gegenüber Lesben und vor allem Transpersonen fallen – akzeptiert man die Kategorien des Mainstream – in niemandes Zuständigkeitsbereich. Dabei häufen sich in letzter Zeit verbale und physischeÜbergriffe auch gegen Lesben und Transgender. Gerade dort, wo queere Lebensweisen sichtbar sind und ein größerer Teil der Wohnbevölkerung »Migrationshintergrund« hat, gewinnen Vermeidungsstrategien im Bezug auf Verhaltensweisen und Orte an Bedeutung. Was als homo- und transfreundlicher Kiez daher kommt, lässt zumindest zu bestimmten Uhrzeiten oft keinen Platz für bestimmte Individualitäten. Eine emanzipatorische Debatte, die gesellschaftliche Ausschlussmechanismen nicht hierarchisiert, sondern beispielsweise Trans- und Homophobie im (Wechsel-) Verhältnis zu Rassismus analysiert und Grundlagen für eine Bekämpfung legt, steht allerdings noch aus.

Die Untersuchung »Einstellungen zur Homosexualität: Ausprägungen und sozialpsychologische Korrelate bei Jugendlichen mit und ohne Migrationshintergrund« von Bernd Simon versprach in diesem Zusammenhang erste Antworten. Lesben- und schwulenfeindliche Einstellungen bei Jugendlichen, deren Eltern und Großeltern aus der ehemaligen Sowjetunion beziehungsweise aus der Türkei stammen, wurden darin verglichen. Die Ergebnisse verblüfften für einige Tage vor allem die Medien: MigrantInnen-Jugendliche sind »homophober« als die deutsche Vergleichsgruppe. Zwischen der Herkunft aus der UdSSR und der Herkunft aus der Türkei scheint es – was die Einstellungsebene anbetrifft – keinen Unterschied zu geben. Offensichtlich sind politische, soziale, kulturelle und religiöse Unterschiede in der Sozialisation keine Faktoren, die sich – im Ergebnis – unterschiedlich auswirken. Leider geht die Studie dieser Frage nicht nach. Die Erfahrungen als Deklassierte und Diskriminierte werden angesprochen, ihre Wirkung allerdings nicht interpretiert. Was das Bekenntnis zur Religiosität angeht und die Bedeutung der Familie, die beide offensichtlich eine besondere Rolle im Identitätsfindungsprozess in der Migration spielen, bereitet die Untersuchung zwar auf. Wie der Zusammenhang mit Lesben- und Schwulenfeindlichkeit aussieht, bleibt dagegen bedauerlicher Weise im Dunkeln.

Vollkommen gleichgültig hingegen scheinen dem Team um Bernd Simon soziale, ökonomische und aufenthaltsrechtliche Rahmenbedingungen gewesen zu sein. Der systematische Ausschluss von Bildung, der dank Pisa sogar bei konservativsten PolitikerInnen als Erkenntnis angekommen ist; das Gesetz der Nachrangigkeit auf dem Arbeitsmarkt; Risiken, was Armut und Gesundheit angeht – alles keine Themen, die im Bezug auf Menschenfeindlichkeit eine Rolle spielen.

Interessant für die ForscherInnen sind offensichtlich – wenig überraschend angesichts des Auftraggebers LSVD – kulturellreligiöse Bezüge vor allem der türkischen jugendlichen Befragtengruppe. Ungleich der christlichen Jugendlichen mit Wurzeln in der ehemaligen UdSSR wird hier auf die homophoben Tendenzen abgehoben, obwohl die Unterschiede im Bezug auf die Bedeutung der Religion kaum Unterschiede aufweisen. Der Studie immanent ist auch die Ignoranz gegenüber der eigens konstatierten Kumulation von Diskriminierungserfahrungen und dem Mangel an Kontakten zu Lesben und Schwulen. Würden die AutorInnen der eigenen Hypothese folgen, müsste die Homosexuellenfeindlichkeit bei türkeistämmigen Jugendlichen deutlich höher ausfallen, da bei türkischen Jugendlichen sowohl der Bezug zur Religion größer als auch die Diskriminierungserfahrungen häufiger und der Kontakt zu Homosexuellen geringer sind.

Am meisten verwundert bei der Betrachtung der Ergebnisse allerdings der Umstand, dass der Kategorie »Geschlecht« so wenig Bedeutung geschenkt wird. Vermeintlich werden Männlichkeitskonstruktionen betrachtet, die Konstruktion von Weiblichkeit(en) bleibt allerdings außen vor. Der Verdacht liegt nahe, dass genderspezifische Aspekte vor allem dann von Interesse sind, wenn sich damit der ohnehin vorhandene Verdacht einer besonderen Hypermaskulinität belegen lässt. Dem vollkommenen Außerachtlassen von Geschlechterverhältnissen mag es dann auch geschuldet sein, dass die zum Teil immens hohen Unterschiede zwischen männlichen und weiblichen Befragten nicht zum Gegenstand der Analyse werden. Es sind offensichtlich »Ethnizität« und »Islam«, die hier untersucht werden sollen – zum Teil gegen die eigenen Vorausannahmen und Ergebnisse.

Festzuhalten bleibt, dass das Erkenntnisinteresse der Erhebenden ein ums andere Mal offensichtlich die Ergebnisse vor formuliert hat. Damit ist die Chance vertan worden, eine wichtige empirische Lücke zu schließen. In der Debatte über das Verhältnis zwischen (heterosexuellen) MigrantInnen und (deutschen) Schwulen sind wir weiterhin darauf angewiesen, von Mutmaßungen auszugehen, die von kulturalistischen Vorausannahmen geprägt sind – und von dem Bestreben von schwulen Männern, auf Kosten von Frauen, Transpersonen und MigrantInnen endlich »dazu gehören« zu dürfen. Es ist auch in, mit und nach dieser Untersuchung nicht möglich, sich von starren »Opfer«- und »Täter«-Zuschreibungen zu lösen, das komplizierte und komplexe Geflecht von eigener Ausgrenzung und der Ausgrenzung von anderen im Kontext zu denken. Was übrig bleibt, ist ein fahler Geschmack, der vor allem lesbischen Migrantinnen und schwulen Migranten das Signal gibt, dass sie sich entscheiden müssen, ob sie lieber über Rassismus oder über Homophobie sprechen wollen. Offensichtlich ist in dieser Gesellschaft noch nicht die Zeit gekommen, die Bedingtheiten zwischen beiden Phänomenen zu denken.

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