zurück zur Inhaltsangabe

Osteuropas rechte Ränder

Einleitung zum Schwerpunkt (ZAG)

Als die kommunistischen Einheitsparteien gegen Ende der 1980er Jahre in den Ländern des Ostblocks nach und nach ihre Hegemonie verloren und abdankten, gab es in vielen dieser Länder die politische Hoffnung auf einen so genannten »dritten Weg« jenseits der Erfahrungen des realen Sozialismus und neoliberaler Verheißungen. Diese Hoffnungen zerschlugen sich schnell. Es fehlte weniger an Konzepten, denn an einer breiten Basis, die die Reformulierung einer Zivilgesellschaft, deren Individualisierung sich nicht im Verhältnis als Privateigentümer erschöpft, stützte.

Die vor allem im Westen als bürgerliche Revolutionen beschworenen Umbrüche waren selten mehr als eine orientierungslose Anpassung an veränderte historische Bedingungen: mit Beginn der 1980er Jahre konnte die zentralisierte Planwirtschaft des Ostblocks nicht mehr mit der kontinuierlichen Produktivitätssteigerung des während der 1970er Jahre neoliberal umstrukturierten Kapitalismus mithalten (im Gegensatz zu Zeiten des Fordismus, als zumindest in den 1950er Jahren für westliche Ökonomen zur Diskussion stand, welches Wirtschaftssystem das Rennen machen würde). Die großen Mängel einer zentralen Planwirtschaft wurden nun überdeutlich (beispielsweise in der DDR oder in Rumänien), jedoch blieb eine politische Reaktion der Machthabenden aus. Eine Umstrukturierung der Wirtschaft ließ sich nicht ohne eine politische Umstrukturierung bewerkstelligen. Zudem hätte diese in Richtung einer relativen Demokratisierung der wirtschaftlichen und damit auch der politischen Verhältnisse weisen müssen. Dann aber kam Perestroika und Glasnost und für die Satellitenstaaten der Sowjetunion vor allem die Auflösung des Ostblocks und damit verbunden der politische Kollaps ihrer Regime. Die Gesichter, die nun auf der politischen Bühne erschienen, kamen aus der zweiten Reihe der alten Nomenklatura (wie beispielsweise in der DDR oder in Rumänien) oder waren bekannte Dissidenten, die ohne größere Umwege bürgerliche Verhältnisse schafften (beispielsweise in der damaligen Tschechoslowakei oder in Polen). Die Bevölkerung wiederum wollte konsumieren, was gut mit dem Interesse westlicher Staaten korrespondierte, ihre Absatzmärkte zu erweitern. Mit diesen Prozessen einher ging eine Nationalisierung und Fundamentalisierung in Religion, Gesellschaft und Politik. Nation, Religion und Konsum wurde immer offener zur Identifizierung der neuen Bürgergesellschaft in schärfster Abgrenzung des nun verteufelten Kommunismus herangezogen. Manifest wurde dies zum einen in der Spaltung beziehungsweise Zersplitterung verschiedener Staaten wie der Tschechoslowakei oder Jugoslawien und in einem offenen Wiedererstarken rassistischen (zeigt sich nicht zuletzt in den Verfolgungen und Ermordungen von ausländischen Studenten in Russland), antisemitischen (Schändungen von Grabmälern nahmen in vielen Ländern Osteuropas bereits während und nach den politischen Transformationen zu), antiziganistischen (zwischen 1990 und 1997 wurden in Tschechien 27 Roma von Rechtsextremisten ermordet) und homophoben (man denke an die Reaktion auf den CSD in Polen, Bulgarien, etc.) Hasses.

Schon zu Beginn der 1990er Jahre diskutierte man diese Entwicklungen als eventuelle Folgen des Transformationsprozesses, den die postkommunistischen Gesellschaften zu vollziehen hätten und in denen es zunächst viele Verlierer und nur wenige Gewinner gäbe. Zu Beginn dieses Jahrzehnts gesellte sich die These hinzu, dass es sich bei dieser rechten Radikalisierung nicht unwesentlicher Teile der Bevölkerungen bspw. in Polen, Tschechien oder Ungarn um Reaktionen auf die tief greifenden sozioökonomischen und soziokulturellen Modernisierungsprozesse handeln könnte. Zum Ende dieses Jahrzehnts zeigt sich jedoch, dass der sich etablierende Nationalchauvinismus übelster Provenience keineswegs allein dumpfer Protest gesellschaftlicher Verliererschichten ist. Vor allem in Russland mit seiner »gelenkten Demokratie« unter Schirmherrschaft Putins zeigt sich, dass die Transformation selbst zutiefst reaktionäre Züge in sich trägt. Nationalismus und Kapitalismus werden nicht nur immer unverhohlener propagiert, sondern legislativ und exekutiv politisch durchgesetzt. Faschistische Gruppierungen haben hier wenig zu fürchten. Im Gegenteil: Die postfaschistische Rechte in Russland, aber auch in den Ländern Osteuropas ist gut organisiert und weltweit bestens vernetzt. Sie hat über Verlage, Zeitungen und Parteien in den meisten Ländern feste Strukturen ausgebildet. 2007 konnte sich in Ungarn aller Proteste zum Trotz gar eine paramilitärische Nationalgarde gründen – interessanterweise mit dem Segen dreier Geistlicher (der unierten, der protestantischen und der katholischen Kirche). In Polen haben die Katschinski-Brüder zudem sondiert, mit wie viel religiösem Chauvinismus sich bürgerlich legitimierte Politik betreiben lässt. Als gesellschaftspolitisches Problem wird »Rechtsextremismus« dagegen in der Öffentlichkeit und den etablierten Parteien nur sehr verhalten wahrgenommen, geschweige denn diskutiert. Die politischen Eliten geben sich noch unbesorgt. Dies mag um einen an ihrem eigenen Nationalismus, Antiziganismus, Antisemitismus, etc. liegen. Zum anderen an der Angst um das Wählerklientel, das die Polarisierung liebt, auf die rechtsradikale Parteien mit ihrer Hetze abzielen.

Gewidmet sei diese Ausgabe allen Opfern die durch Fremdenhass, Hass gegen Roma, Hass gegen Juden oder Hass gegen gleichgeschlechtliche Liebe in Polen, Tschechien, der Slowakei, Ungarn, Rumänien, Russland, Bulgarien, Litauen … um ihr Leben kamen.

zurück zur Inhaltsangabe

Archiv