zurück zur Inhaltsangabe

Rechtsruck in Ungarn

Rechtsextremes Gedankengut ist salonfähig,
die »Ungarische Garde« marschiert trotz Verbotes

Stephan Ozsváth, ARD, N-Ost e.V.

»Ich heiße István Demeter und ich bin der Kapitän«, sagt der schnauzbärtige Mann mit Kapitänsmütze. Und die Fahrt mit der »Katalin II.« über einen Seitenarm der Körös kann losgehen. Es ist heiß, fast 40 Grad. Das Ausflugsschiff ist voll: ungarische Familien, die den Ausflug in das Arboretum des südostungarischen Szarvas mit einer kleinen Schiffsfahrt verbinden. Bootsstege, Schwimmer, ja sogar ein paar Schildkröten auf einem Baumstamm ziehen vorbei. »Jetzt bitte die Kinder nach vorn«, ruft der Kapitän, setzt einem Kind nach dem anderen die Kapitänsmütze auf. Eins nach dem anderen steuert das Schiff. Das gibt István Demeter Zeit für seine ganz persönliche Show. »Hier ist die Mitte Ungarns«, verkündet der Mann über Mikrophon, obwohl das 16.000-Einwohner-Städtchen Szarvas nur 70 Kilometer von der rumänischen Grenze entfernt liegt. István Demeter bezieht sich auf eine andere Zeit: die Zeit vor dem ersten Weltkrieg, als Siebenbürgen, die Vojvodina, Teile der Slowakei und der Ukraine noch zu Ungarn gehörten. »Wenn der liebe Gott will«, predigt Demeter, »werden wir Ungarn einst wieder vereint sein.« Schnell wird klar: Die Schiffstour wird zur Propaganda-Veranstaltung eines Rechtsextremen. Demeter bezieht die Passagiere in ein krudes Ratespiel ein. »Ich bin Kapitän«, sagt er, »aber nennen Sie mir einen noch berühmteren!«, Brav kommen die Antworten. »Admiral Horthy!« gibt er schließlich die richtige Antwort. »Er hat den Briten in der Seeschlacht von Otranto gezeigt, was ungarische Kriegskunst ist«. Nebenbei hat der Reichsverweser Horthy noch Judengesetze erlassen, Pogrome gegen Slowaken befehligt und Ungarn zur Waffenbrüderschaft mit Hitler geführt – um die verlorenen ungarischen Gebiete in den Anrainerstaaten zurück zu gewinnen. 50 Kilometer entfernt, in Kenderes, hat der Admiral in der Familiengruft seine letzte Ruhe gefunden. Die Atmosphäre an Bord wird immer munterer. Nur wenige murren. Alle schwitzen. Dann holt Demeter die Schlüsselanhänger hervor. Sie zeigen Groß-Ungarn in den Grenzen vor 1920. »Nur 450 Forint, in Budapest bezahlen Sie deutlich mehr«, preist Demeter seine Ware an. Er muss nicht lange werben. Die patriotischen Anhänger finden reißenden Absatz. Kein Wunder: Die ungarische Gesellschaft ist auf Kurs strammrechts. Die Budapester Innenstadt fällt in die Hände jüdischer Immobilienhaie, glaubt manch einer, der das auch offen sagt. Nach einer Umfrage der »International School Psychology Association« würde sich jeder zweite ungarische Pennäler nicht neben einen Roma-Mitschüler setzen. Klischees wie »Roma sind faul und wollen nicht arbeiten« werden nicht nur hinter vorgehaltener Hand geäußert. »Ich verdiene die Stütze, von der ihr lebt«, heißt es in einem Nazi-Rock-Song, veröffentlicht im Online-Portal »You Tube«. Die bekannteste ungarische Rechtsrock- Band »Kárpátia« füllt Stadien. Überall im Land hängen Tournee- Plakate: die Trikolore, darauf der Name der Band. »Ungar erwache« heißt ein Song, als MP3-File von der Internet-Seite bequem herunterzuladen. Das Intro wird von Kindern gesprochen: »Ich glaube an einen Gott, an ein Vaterland und an Ungarns Auferstehung«. Es ist ein patriotisches Gebet, das in der Zwischenkriegszeit an allen ungarischen Schulen Pflicht war – ein religiös überhöhter Traum von Großungarn.

TRAUMA TRIANON

»Weg mit Trianon – unsere Fahne wird siegen«, singt auch die Band »Romantikus Eröszak« (Romantische Gewalt). Der Friedensvertrag von Trianon ist im ungarischen Geschichtsverständnis die große Wunde. Nach dem ersten Weltkrieg verlor Ungarn zwei Drittel seines Territoriums – und fast 3 Millionen Ungarn bekamen einen neuen Pass. Die ungarische Rechtsextreme will die Gebiete zurück. »Trianon ist eine Art emotionaler Zement, der diese Leute zusammenhält«, sagt Endre Bojtár, Chefredakteur der linksliberalen Wochenzeitung »Magyar Narancs«. Ansonsten hat er das übliche gedankliche Repertoire Rechtsextremer auch in Ungarn ausgemacht: »Sie sind gegen den Westen, gegen Europa, gegen Liberale, gegen Juden, gegen Rumänen, gegen Russen, gegen Zigeuner«.

Prominente Figur der Rechtsextremen ist die Juristin und Dozentin an der Budapester Eötvös-Loránt-Universität, Krisztina Morvai. Sie war früher Mitglied des UN-Komitees für Frauen und Menschenrechte. Sie will im Juni bei den Europawahlen für die rechtsextreme Partei »Jobbik« ins Europaparlament. Und sie kündigte bereits im September 2008 an, sie wolle dort »kein Diener der EU« sein, sondern in erster Linie die nationalen Interessen Ungarns vertreten. Beobachter in Ungarn halten es für möglich, dass »Jobbik« (Die Besseren/die Rechteren) als »lachende Dritte« neben den Sozialisten und Rechtskonservativen ins Straßburger Parlament kommen könnten.

RECHTSEXTREME IM PARLAMENT
BISLANG OHNE GROSSEN EINFLUSS

Auf 12 Prozent beziffert der Budapester Soziologe Pál Tamás das rechtsextreme Wählerpotential in Ungarn. »Das sind Männer um die 30, die vor der Wende große Träume hatten, die sich nicht erfüllt haben«, sagt er. Ein Potential, auf das etwa der rechtskonservative Bürgerbund FIDESZ unter dem ehemaligen Ministerpräsidenten Viktor Orbán setzt. Immer wieder gibt es rechtsextreme Ausfälle seiner Parteimitglieder. Ihm selbst wirft die sozialistische Minderheits- Regierung von Ministerpräsident Gyurcsány – zu Recht – vor, sich nicht genügend von den Umtrieben der »Garde« und »Jobbik« zu distanzieren. Im Budapester Parlament hatten rechtsextreme Parteien nach der Wende bisher keinen großen Einfluss. Die »Ungarische Wahrheits- und Lebenspartei« (MIÈP) unter Führung des Antisemiten István Csurka konnte sich nur einmal dort breit machen. Auch die 2-Prozent-Partei »Jobbik« schaffte es nicht bis in das markante Gebäude am Donau-Ufer – auch nicht in einem Bündnis mit MIÈP. Aber in regionale und kommunale Gremien. In der zweitgrößten Stadt Debrecen sitzen sie mit in der Stadtregierung. Im 9. Budapester Bezirk brachte es »Jobbik« unlängst auf 8,5 Prozent der Wählerstimmen. Dort schafften es Rechtsextreme mit Drohungen auch, dass die liberale Abgeordnete Emese John ihren Posten als Verordnete gar nicht erst antrat. Die hochschwangere Politikerin des SZDSZ hatte Morddrohungen der sogenannten »Pfeile Ungarns« erhalten. Emese John steht schon lange auf einer Schwarzen Liste der Rechtsextremen, weil sie sich für ein gemeinsames ungarisch-slowakisches Geschichtsbuch einsetzt. Sie begründet ihr Engagement damit, dass die Erinnerungskultur ausschließlich auf nationalen Geschichtsbüchern basiere, doch sei die Geschichte Ungarns und der Anrainer-Staaten eine gemeinsame. Ihr Fazit: »Es ist sehr wichtig, sich mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen, aber dazu sollen wir uns unbedingt die Brille der Nachbarn ausleihen, um uns selbst besser sehen zu können.« In den Augen der ungarischen Rechtsextremen ist das Vaterlandsverrat.

DIE PARTEIARMEE »UNGARISCHE GARDE«

Ende August 2007 gründete die junge Partei »Jobbik« einen paramilitärischen Ableger: die »Ungarische Garde«. Die ersten 56 Mitglieder legten direkt vor dem Präsidentenpalast auf dem Burgberg von Budapest ihren Fahneneid ab. Sie erhielten ihre Mitgliedsausweise von Lajos Für, dem Verteidigungsminister der ersten Nachwende-Regierung. Ein bekannter Schauspieler sprach den Fahneneid vor. Geistliche der Konfessionen segneten die Fahne mit dem Löwen, und Mária Wittner, Parlamentsabgeordnete des rechtskonservativen Bürgerbundes Fidesz, sprach von »Heimatliebe« und »wahrem Ungartum«. Wittner ist eine Ikone des 1956er-Aufstandes. Die Näherin war als aktiv Beteiligte zum Tode verurteilt und später begnadigt worden. Sie lässt keine Veranstaltung von »Jobbik« aus. Staatspräsident László Sólyom sagte in einem Interview mit der FAZ auf die Frage nach einer Bannmeile: »Der Präsident hat keine Angst vor den Bürgern. Daher finden sogar Veranstaltungen statt, die ich schwer missbillige oder verurteile, die jedoch von Rechts wegen nicht verboten werden können.« So denken viele in Ungarn. Nach den Jahrzehnten der Unfreiheit gelten demokratische Freiheiten wie Versammlungs- und Meinungsfreiheit als heilige Kühe. Eine Art Volksverhetzungsparagraph nach deutschem Vorbild, der die Minderheiten besser schützen könnte, wurde im Sommer 2008 vom ungarischen Verfassungsgericht zunächst gekippt. Die Richter glauben an die Selbstheilungskräfte der ungarischen Gesellschaft. Der »Verkünder solcher Botschaften stellt sich mit seiner Meinung selbst an den Rand der Gesellschaft«, heißt es in der Urteilsbegründung.

Der Staatspräsident László Sólyom hatte das Gesetz zuvor wegen Verfassungsbedenken nicht unterzeichnen wollen. Im Interview mit der FAZ begründete er seine Bedenken gegenüber Gesetzesverschärfungen so: »Wir sehen am Beispiel anderer Rechtsstaaten, dass das Recht in solchen Fällen weniger zu erreichen vermag, als die Politik. Ich möchte das Gewicht zunächst auf die politische Bekämpfung dieser Bewegungen legen.« Das Nein der Verfassungsrichter zum Volksverhetzungsparagraphen sei ein Freibrief für Antisemiten und Romahasser, meint der Sozialist Gergely Bárándy, er ist ein Befürworter des Gesetzes gegen »Hassreden«. Es sei nach der Entscheidung des Verfassungsgerichts möglich, »Juden und Roma öffentlich und ungestraft zu beleidigen«, so Bárándy. Das aber schade dem EU-Mitglied Ungarn auch auf internationalem Parkett, meint Ernö Lazarovics. Der Holocaust-Überlebende vertritt die ungarischen jüdischen Gemeinden im Ausland. Er sagt: »Antisemitismus ist nicht gut für das Renommee.« Das weiß auch der Staatspräsident, der im FAZ- Interview einräumte, das Spektakel auf dem Burgberg sei ein »kommunikatorischer Sieg der Radikalen gewesen«. Seitdem beherrschten sie den symbolischen Raum.

Und nicht nur den. Seit dem rechtsextremen Hochamt auf dem Burgberg von Buda marschiert die »Ungarische Garde« durch ungarische Dörfer und Stadtviertel mit hohem Roma-Anteil, wettert gegen »Zigeunerkriminalität« und setzt sich dafür ein, dass Roma-Kinder und die der anderen Ungarn in der Schule voneinander getrennt werden. Roma-Spezialeinheiten bei der Polizei und die Wiedereinführung der Todesstrafe stehen im Forderungskatalog. Anführer der »Ungarischen Garde« ist der 30jährige Gábor Vona. Er ist gleichzeitig auch Parteichef der rechtsextremen Splitterpartei »Jobbik«. Sie ist vor allem im studentischen Milieu verankert. Auf der Straße sind die Gardisten ungemein präsent – durch permanente Aufmärsche, aber auch durch Gewalttaten. Anlässlich der »Gay Pride Parade« in Budapest etwa im Juni 2008 griffen die Rechtsextremen Demonstrationsteilnehmer mit Eiern und Säure an, homosexuelle Politiker wurden durch die Straßen der ungarischen Hauptstadt gehetzt. Der für den Schutz der Minderheiten zuständige Ombudsman Ernö Kállai vergleicht die Kampagnen mit denen gegen Roma und Juden, »das Suchen nach Sündenböcken und die breite gesellschaftliche Unterstützung« mit der Situation in Deutschland in den 30er Jahren, als die Braunhemden der SA durch deutsche Städte marschierten. Er wirft den ungarischen Politikern vor, »die Gefahr dieser Entwicklung und die Notwendigkeit, diese aufzuhalten«, nicht erkannt zu haben.

JURISTISCHES VORGEHEN GEGEN
DIE »UNGARISCHE GARDE«

Nach anderthalb Jahren Unwesen hat die »Ungarische Garde« im Dezember 2008 einen Dämpfer vom Stadtgericht Budapest bekommen. Es verbot den Trägerverein. Immerhin. Das hat die Garde jedoch nicht daran gehindert, weiter zu marschieren. Vor der israelischen Botschaft in Budapest protestierten Garde-Mitglieder gegen das israelische Vorgehen im Gaza-Streifen, vor dem Parlament schlüpften sie in die Rolle der armen Opfer, die vom Staat eins auf die Mütze kriegen. Doch »Jobbik«-Chef und Garde-Gründer Gábor Vona kündigte an, zur Not »das gleiche Anliegen unter anderem Namen« weiter zu tragen. Doch erst einmal gingen die Rechtsextremen in Revision. Eine Entscheidung steht noch aus.

INTERNE QUERELEN

Zunehmend gibt es auch internen Ärger. Im Herbst nahm der Kommandant der »Ungarischen Garde«, der ehemalige Offizier István Dósa seinen Hut. Er fand die ganze Veranstaltung zu rechtsextrem – er wünschte sich mehr Ungarntümelei und weniger rechtsextreme Militanz. Anfang Januar traten drei Gründungsmitglieder aus »Jobbik« aus. Sie begründen ihren Schritt mit der Gründung der »Ungarischen Garde«. Alle Gelder der Partei flössen dahin. Es werde nicht geprüft, wer da überhaupt eintrete. Und David Kovács, Ervin Nagy und Márton Fari fragten sich, ob »Jobbik« auf Dauer Einfluss auf die Garde nehmen könne. Die »Jobbik»-Führung gefährde die Verwirklichung der politischen Interessen der Partei. Eine klare Kritik am Parteichef Gábor Vona.

 

zurück zur Inhaltsangabe

Archiv