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Am Anfang stand …

Die letzten 25 Jahre der ZAG

ZAG

Die ZAG kann auf eine fünfundzwanzigjährige Geschichte zurückblicken. Dies sind auch fünfundzwanzig Jahre antirassistische Geschichte. Die Texte und Schwerpunkte in den 75 Ausgaben, die in diesen Jahren erschienen, dokumentieren die Diskussionen zu antirassistischer Politik von 1992 bis 2018.

Alles begann mit einer kleinen Gruppe in Berlin innerhalb der Antirassistischen Initiative (ARI), die 1988 gegründet worden war und mit dem Antifa-Infotelefon. Die Gruppe hatte begonnen, einen antirassistischen Notruf per Telefon zu unterhalten. Die Notrufnummer sollte der Information zu rassistischen Übergriffen, Mobilisierung für Aktionen und der Beratung dienen. Zu oft war die Polizei bei antirassistischen Übergriffen nicht zur Hilfe gekommen, der polizeiliche Notruf half nicht. Die Zahl der Übergriffe, Anschläge und Toten war mit dem Mauerfall kontinuierlich gestiegen. Hoyerswerda und Lichtenhagen waren die sichtbaren Ereignisse, die bundesweit die Öffentlichkeit erreichten und die zum Symbol für den Rassismus im vereinigten Deutschland wurden. Die tagtäglichen Toten an der Grenze der BRD zu Polen wie auch die Angriffe auf den Straßen und S-Bahnen in Ostdeutschland blieben weitgehend unbeachtet. Eine Reaktion hierauf war die Dokumentation „Bundesdeutsche Flüchtlingspolitik und ihre tödlichen Folgen“, die bis heute erscheint. Ein weiteres Ergebnis aus den Diskussionen der beiden Gruppen über Rassismus, Faschismus und Asylpolitik war die Gründung der ZAG.

Rassismus tötet

Das „Zeitschriftenprojekt antirassistischer und antifaschistischer Gruppen“, ZAG, verstand sich als Plattform, die „vor allem antirassistischen und antifaschistischen Gruppen Raum bieten“ sollte, „Informationen, Einschätzungen, Selbstdarstellungen, Termine usw.“ öffentlich zu machen. Ziel war es, auf diesem Wege eine Gegenöffentlichkeit aufzubauen, Aktionen durchzuführen und Betroffene solidarisch zu unterstützen. Von Anfang an verfolgte die Redaktion der ZAG einen pluralen Ansatz, der auch Beiträgen mit anderem politischen Standpunkt als den der Redaktion einen Platz bieten wollte.

Die erste Ausgabe mit dem Titel „Rassismus tötet“ kam im November 1991 heraus. In den folgenden Jahren erschien sie vierteljährlich. Ab der achten Ausgabe erschien sie mit dem Untertitel „Zeitung antirassistischer Gruppen“ und ab Mitte 1997 als „antirassistische Zeitschrift“ und kündete so von der veränderten Arbeitsweise und organisatorischen
 Einbindung der Redaktion. Diese war Teil der ARI geworden und lud seit dem 3. Jahrgang Autor*innen ein, zu Schwerpunktthemen zu schreiben. Zuvor nahmen die Dokumentation von Erklärungen, Aufrufen und Reden einen großen Raum ein. Die Texte speisten sich aus den Aktivitäten der Gruppen vor Ort, die mit Nazi-Angriffen, Polizeieinsätzen, Abschiebungen und rassistischer Gewalt konfrontiert waren. Mit den Heften Nr. 14 „Deutscher Antirassismus?“, gemeinsam mit „off limits“ 1995, Nr. 18 „VietnamesInnen in Berlin“, gemeinsame Ausgabe mit „Arranca!“ 1996 und Nr. 47 „Produktionen des Westens“, gemeinsame Ausgabe mit der Zeitschrift „kleine anfrage“ 2005, lebte diese gruppenübergreifende Zusammenarbeit wieder auf.

Der erste Schwerpunkt in der ZAG Nr. 7 war dem Thema „Rassismus und Medien“ gewidmet. Die ARI hatte im Rahmen der So36-Tage eine Diskussion mit dem Titel „Macht der Medien – Ohnmacht der Linken“ vorbereitet. Der Schwerpunkt spiegelte die Interessen der Redaktion wider und nahm zugleich die Rolle der ZAG als Medium einer antirassistischen Gegenöffentlichkeit aufs Korn. Nicht nur der Rassismus der bürgerlichen Massenmedien traten ins Blickfeld, sondern auch „wie in unseren eigenen Medien, wie in der sogenannten linken und feministischen Gegenöffentlichkeit Rassismus und Antisemitismus reproduziert wird“.

Der Diskurs der bürgerlichen Medien stellt Rassismus als Randgruppenproblem dar. Dabei ist Rassismus ein verbreitetes Alltagsproblem. Die Medien selber sind eine Institution – neben anderen, die dieses rassistische Alltagsbewusstsein durch ihre Berichterstattung über Asylgesetze, Einwanderung und das Zusammenleben von autochthoner und migrantischer Bevölkerung nährt, so z. B. in der Kampagne der Springer-Presse zur sogenannten „Asylanten-Schwemme“. Doch sind die Medien nicht das Sprachrohr eines einheitlichen gesellschaftlichen Blocks und es stellt sich die Frage, welche Möglichkeiten und Schwierigkeiten sich daraus für antirassistische Arbeit ergeben. Als Linke bezieht man sich selbst immer wieder auf diese Medien und versucht, dass die eigene Sichtweise dort zumindest wahrgenommen wird. Während offene Hetzkampagnen relativ schnell Widerstand und auch Empörung freisetzen, ist es schwieriger dem impliziten, verdeckten Rassismus in den Medien etwas entgegen zu setzen. Dies ist eine langfristigere Aufgabe.

Die Reflektion der eigenen Arbeitsbedingungen – wie sie im Heft Nr. 7 analysiert werden – ist zu einem Kern der inhaltlichen Auseinandersetzung in der ZAG geworden: sich selbst nicht aus den Augen zu verlieren und die eigene Rolle bei den rassistischen Kämpfen wahrzunehmen. Dabei sind die inhaltlichen Setzungen stets durch das Interesse und die Diskussionen innerhalb der Redaktion bestimmt gewesen. Einerseits waren die Themen in der ZAG durch die Aktivitäten der Redaktionsmitglieder in Kampagnen und Netzwerken bestimmt. Andererseits gelang es, frühzeitig Themen zu besprechen, die später größeres Interesse auch außerhalb der ZAG nach sich zogen.

Mit der Ausgabe Nummer 50 „Verschwörungen“ gönnten wir uns ein kleines Jubiläum und ein Thema, welches viel Spaß versprach. Mit dem Erfolg des republikanischen US-Präsidentschaftskandidaten Trump und der Desinformationsstrategien der Rechten haben diese Verschwörungserzählungen unter den Schlagwörtern „Fake News“ und „Alternative Fakten“ einen Platz in der Politik und den Medien gewonnen. Zwar haben wir dies damals nicht vorausgesehen, dennoch gab es bereits 2007 innerhalb der deutschen Rechten Versuche, damit Politik zu betreiben und Wähler*innen zu gewinnen. Nicht, weil sie die Massen manipulieren wollten, sondern weil die Nazis wirklich daran glauben.

Ach, zwei Seelen

Die mediale Arbeit funktioniert nicht wie ein Tabu oder die Bannung von Dämonen mittels eines Pentagramms auf der Türschwelle. Bedauerlicherweise reicht es nicht, ein Thema auszusprechen, um es dann endgültig von der Tagesordnung verabschieden zu können. Doch zumindest lassen sie sich öffentlich machen. Einige Themen haben wir öfter aufgreifen müssen wie Antiziganismus (Hefte 5, 43, 59), Illegalisierung, antimuslimische Ressentiments (Hefte 34, 56), die Rolle Europas (Hefte 16, 35), die Rolle der Polizei (Hefte 11, 22, 28) die Migrationskontrolle (Hefte 24, 44) und Postkolonialismus (Hefte 47, 70). Ein Ende ist nicht abzusehen und wir hätten uns vielleicht in Zukunft öfter wiederholt.

Tatsächlich besteht eine gewisse Notwendigkeit darin, sich zu wiederholen. Der erste Titel der „Islam-Bilder“ von 2000 nahm das wiederbelebte Feindbild „Islam“ zum Anlass, über Rassismus zu sprechen, der Muslim*innen entgegengebracht wurde. Der rassistische Blick verengte sich auf Jugendkriminalität, Frauenrechte und Fragen der „Kultur“. Der Begriff der „islamischen“ Kultur „dient – wie der Rassebegriff – zur Konstruktion einer real nicht vorhandenen Gemeinsamkeit und Abgrenzung.“ Die Situation verschärfte sich nach den Anschlägen in den USA 2011. Im zweiten Heft mit dem Titel „Islambilder“ (Heft 56) haben wir Wert daraufgelegt, von Ressentiments statt antimuslimischem Rassismus zu schreiben. Denn es schien uns einerseits, dass die Nähe zum Begriff des „antiislamischen Rassismus“ zu groß war, der die Religion als Grund für den Rassismus betont. Doch es ist keine religiöse Feindschaft, die dort ausgedrückt wird. Andererseits schien es uns, dass mit dem Begriff des antimuslimischen Rassismus dieser mit dem Antisemitismus gleichgesetzt werden könnte und eine neue Art von Rassismus konstruiert würde. Doch es bleibt Rassismus. Davon muss man sprechen.

Ab dem Jahr 2000 veränderte sich der Veröffentlichungsrhythmus. Er wurde unregelmäßig. Zum Teil wurden nur noch zwei Ausgaben pro Jahr herausgegeben. Dies hatte zum einen den technischen Grund, dass die ZAG kein Postvertriebsstück mehr war, so dass ein viermaliges Erscheinen im Jahr nicht mehr erforderlich war. Doch auch die Arbeit innerhalb der ZAG veränderte sich. Die Redaktion veränderte sich personell und damit auch die Themen der folgenden Hefte. Zudem war es um die antirassistische Szene ruhiger geworden. Dies zeigte sich spätestens mit der Einstellung der beiden unabhängigen antirassistischen Zeitschriften „Morgengrauen“ aus Köln 2003 und den „off limits“ aus Hamburg 2002. Das Interesse an antirassistischen Themen ging zurück, wie auch die antirassistische Szene kleiner wurde.

Nichtsdestotrotz zeigen die vergriffenen Hefte der ZAG, wie groß das Interesse an bestimmten Themen war. Der Unterschied zwischen den Heften vor und ab 2000 sind ihre „abstrakteren“ Titel. Die älteren vergriffenen Hefte waren im Zusammenhang mit Kampagnen und Aktionen entstanden und zum Teil umsonst abgegeben worden. So die Hefte zu Vertragsarbeiter*innen Nr. 9 und 18 oder „City 2000“ im Zusammenhang mit der Innenstadtaktion. Ab 2000 werden Hefte wie „Schengenland“ (35) zum Umgang mit Migration und Flucht in den Schengenstaaten, „Antisemitismus“ (39) zur Debatte um den Stellenwert des Antisemitismus und des Holocausts in der Linken oder „Antiziganismus“ zum aktuellen Umgang mit Roma und Sinti und dem Massenmord während der NS-Zeit wichtige Meilensteine. Sie begleiten einerseits aktuelle Debatten und andererseits blinde Flecken innerhalb der antirassistischen Diskussion.

Mit den Heften „Migrationsmangement“ und „Migration von Frauen“ (Hefte 44, 45) hat die ZAG diskutiert, wie sich die Formen der Steuerung von Migration verändern. Die EU hat mit dem IOM eine Organisation gefunden, die Projekte in den Herkunftsländern umsetzt, um Migration schon frühzeitig kontrollieren zu können. Ein wiederkehrendes Argument des IOM war, dass Frauen durch Schleuser der Zuhälterei zugeführt würden. So konnte die politische Agenda in Europa und den USA verändert werden, die sich nun gegen Migration wendete, um Frauenrechte zu schützen. Mit dem nachfolgenden Heft wurde dieses Thema wieder aufgenommen, nun aber unter dem Gesichtspunkt wie die Ankunftsländer durch die Migration von Frauen profitieren (bspw. in der Kinderbetreuung und Pflege), – ohne dass sich tatsächlich an der Stellung der Frauen und ihrer Rechte etwas ändert. Das Problem wird stattdessen in globaler Dimension reproduziert.

Einen ähnlichen Impact hatten die Hefte „Homophobie“ und „Critical Whiteness“ (Hefte 53, 61). Das Heft „Critical Whiteness“ nahm die Auseinandersetzungen, die innerhalb der sich antirassistisch verstehenden Aktivist*innen, die spätestens seit dem Kölner No-Border-Camp 2012 offen zu Tage traten, zum Anlass. Bereits in den vorangegangenen Heften 57, 58, 59 hatte es einzelne Artikel zum Thema gegeben. Das Heft war in sehr kurzer Zeit vergriffen. Als größtenteils „weiße“ Redaktion wurde unser Antirassismus in Frage gestellt. Nicht nur in dem Sinne, dass wir über unsere Rolle kritisch reflektieren sollten, sondern uns wurde außerdem die Berechtigung, das Label „antirassistische Zeitschrift“ zu führen, bestritten. Denn als „weiße“ Redaktion könnten wir keine Antirassist*innen sein; dies könnten nur von Rassismus „negativ Betroffene“. Unsere Haltung war klar: Rassismus ist kein Problem von Farben, sondern strukturell zu erklären. Deshalb sind erst einmal alle von Rassismus betroffen. In welcher Weise, ist dann immer noch offen und im konkreten Fall zu klären. Die Ideologie des Rassismus mag zwar diesem Dualismus von schwarz und weiß gerecht werden, aber ist noch keine Veranlassung, einer Umkehrung dieser Ideologie das Wort zu reden. Für uns ging es um eine solidarische Praxis und eine Gesellschaft, in der Rassismus niemandem Gewinn verspricht. Ein Ziel, das bereits früher durch die ARI in der ZAG Nr. 14 „Deutscher Antirassismus?“ aus dem Jahr 1995 formuliert und problematisiert wurde. Uns ist klar, dass es schwierig bleibt, diesen Anspruch zu verwirklichen.

Die nicht gemachte Zukunft

Neben all den verwirklichten Themen, all den Texten, Berichten und Dokumenten, die in der ZAG veröffentlicht wurden, gab es auch Schwerpunktthemen, die nicht verwirklicht werden konnten. Gründe, weshalb dies nicht auf ausreichend Interesse bei potentiellen Autor*innen stieß, könnten sein, dass die Themen entweder zu speziell bzw. zu weit weg von den aktuellen Themen waren oder weil es zu selbstkritisch, zu kontrovers gewesen wäre, hierzu Stellung zu nehmen. Selbst beim Thema Antisemitismus hatten wir Probleme, Autor*innen zu finden. Damals tobte die Auseinandersetzung über die „richtige“ Haltung zum Staat Israel. Ähnliche erging es uns beim Thema „Critical Whiteness“. Andere Schwerpunkte, die zum Teil trotz mehrerer redaktioneller Anläufe nie das Licht der Welt erblickten, waren Sklaverei, Folter, Kritik der Menschenrechte, Organisation von Flüchtlingsfrauen und Willkommenskultur. Es bleiben auch weiterhin Themen offen.

Dass die ZAG nun endgültig eingestellt wird, bedeutet nicht, dass nicht mehr diskutiert oder über Themen berichtet wird; es bedeutet in erster Linie, dass wir als Redaktion aufhören zu existieren. In Zukunft wird es andere geben, die unseren Platz einnehmen, andere Zeitschriften, andere Medien. Wir hoffen mit einem ähnlichen Anspruch und noch größerem Erfolg, als wir ihn hatten. Danke.


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