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EPAs, Lissabon und Cotonou

Armutsverschärfung durch Freihandelsabkommen

Annette Groth

Am 27. September 2007 haben Kleinbauern und KleinbäuerInnen, AktivistInnen und VertreterInnen der Zivilgesellschaft aus über 40 Ländern in Europa und den AKP-Staaten (Afrika, Karibik, Pazifik) gegen die Wirtschaftspartnerschaftsabkommen Economic Partnership Agreements, EPAs protestiert.1 Der 27. September ist internationaler Protest- und Aktionstag des internationalen Stop-EPA-Netzwerks, da an diesem Tag im Jahr 2002 die Verhandlungen über die EPAs eröffnet wurden.

Was steckt hinter EPAs?

Im März 2000 wurde auf dem EU-Gipfel die Lissabon-Strategie verabschiedet, der zufolge die EU bis 2010 der »wettbewerbsfähigste und dynamischste wissensbasierte Wirtschaftsraum in der Welt« werden soll.
EU-Kommissionspräsident Barroso erklärte das Vorantreiben der Lissabon-Strategie zum höchsten Ziel seiner Regierungsmannschaft. Stellvertreter bei der Koordination des Vorhabens ist Industrie-Kommissar Günter Verheugen. Bei der Anhörung durch das EU-Parlament führte Verheugen aus, dass die Kommission sämtliche Instrumente einsetzen wird, um allen Unternehmen so günstige Rahmenbedingungen zu schaffen, damit sie auf dem Weltmarkt wettbewerbsfähig sind. »Günstige Rahmenbedingungen« von Unternehmen auf dem Weltmarkt spielen insbesondere in der EU-Handelspolitik, die in der »exklusiven Kompetenz« der EU-Kommission liegt, eine große Rolle.

Drei Monate nach Verabschiedung der Lissabon-Strategie wurde im Juni 2000 das Cotonou-Abkommen zwischen der EU und ihren 78 assoziierten AKP-Staaten unterzeichnet. Das Cotonou-Abkommen löst die bisherigen Lomé-Abkommen ab, das den AKP-Staaten Handelspräferenzen für ihre Exportgüter einräumen. Mit dem Cotonou-Abkommen entfallen diese vertraglich geregelten Vorteile im Außenhandel. Aufgrund einer Ausnahmeregel (sogenannte waiver) der WTO durften die AKP-Staaten die Vorzugsbehandlung bis Ende dieses Jahres genießen. Das Auslaufen dieser Regel ist ein Hauptargument der EU für Abschluss der EPAs vor Ende dieses Jahres. Das ist aber nur ein sehr fadenscheiniges Argument, weil die Ausnahmeregelung durchaus verlängert werden könnte.
Ein wesentlicher Grund für diese Freihandelsabkommen ist der Wunsch europäischer Konzerne, den bedeutenden Landwirtschafts- und Nahrungsmittelsektor der AKP-Länder zu erobern. Dabei spielt die Kontrolle über das Saatgut und die genetischen Ressourcen durch europäische Agrarkonzerne eine zentrale Rolle. So will die EU in den EPAs die AKP-Staaten verpflichten, das Internationale Übereinkommen zum Schutz von Pflanzenzüchtungen anzuerkennen. Damit würde das uralte, verbriefte Recht von Bäuerinnen und Bauern, das von ihren Kulturgemeinschaften genutzte Saatgut weiter zu züchten und neu auszusäen, zu Gunsten internationaler und europäischer Agrar- und Biotechnologieunternehmen eingeschränkt werden.

Mit der Unterzeichnung von EPAs müssen diese Länder ihre Zölle auf importierte Waren drastisch reduzieren und Märkte nicht nur für Industrie- und Agrarprodukte aus der EU, sondern auch für Investitionen, Dienstleistungen und das öffentliche Beschaffungswesen öffnen. Wenn Entwicklungsländer zu einer solchen umfassenden Marktliberalisierung und dem Zollverbot für Importgüter gezwungen werden, wird das katastrophale Auswirkungen auf die lokalen AKP-Märkte haben. AKP-ProduzentInnen wären einem Wettbewerb mit europäischen Unternehmen ausgesetzt, den sie nur verlieren können. Alle Studien, die die möglichen Auswirkungen der EPAs auf die Ökonomien der AKP-Staaten untersucht haben, bestätigen die absehbaren negativen Auswirkungen. Neben einer Gefährdung der Ernährungssicherheit, könnten die EPAs auch eine De-Industrialisierung und den Zusammenbruch ganzer lokaler und nationaler Produktionszweige zur Folge haben.

Für Pascal Lamy, ehemaliger EU-Handelskommissar und jetziger Chef der WTO, sind die EPAs-Freihandelsabkommen, die auch eine Exportförderung europäischer Unternehmen implizieren.2 Dafür erhält die EU-Kommission auch Lob vom BDI, dem Bundesverband der Deutschen Industrie: »Bei bilateralen Verhandlungen und WTO-Beitrittsprozessen versucht die Kommission, die offensiven Interessen der EU möglichst umfassend durchzusetzen. Die Kommission vertritt also die Interessen der Unternehmen, die in den betreffenden Märkten Absatzchancen sehen. Eine enge Zusammenarbeit zwischen Wirtschaft und Kommission ist für echten Fortschritt unentbehrlich.«3

Kritik

Da 80 Prozent der Nahrungsmittel in Afrika von Frauen produziert werden, würden Frauen von den EPAs am stärksten betroffen. Auf einer Tagung zivilgesellschaftlicher Organisationen aus sieben zentralafrikanischen Staaten in Kamerun wurde im Juli die Forderung erhoben, besondere Schutzinstrumente für Sektoren einzurichten, in denen vorwiegend Frauen beschäftigt sind. »Frauen sind in Afrika für das tägliche Brot verantwortlich. Wenn ihre Einkommen wegbrechen, leidet die ganze Familie.« Die EPAs sind also nicht nur entwicklungs-, sondern auch frauenfeindlich.

Einige Tage nach diesem Seminar verhandelten die EU-Kommissare Louis Michel und Peter Mandelson mit den Regierungsvertretern der zentralafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft CEMAC über den konkreten EPA-Vertragstext. Dort wurde so viel Protest gegen die EPAs geäußert, dass die Verhandlungen abgebrochen wurden und die EU-Kommissare verärgert abreisten. Der Staatspräsident Benins wies bereits im September 2003 darauf hin, dass sein Land bis zu 20 Prozent der Staatseinnahmen verlieren könnte, wenn es seine Wirtschaft nicht mehr durch Importzölle schützen darf. »Das wird Konsequenzen für die Investitionen im Sozialbereich haben und steht im krassen Missverhältnis zur Empfehlung von UNDP, dass Benin seine Steuerbasis erhöhen und mehr in den öffentlichen sozialen Sektor investieren muss, wenn es eine nachhaltige Entwicklung erreichen will.«

Der Gewerkschaftsführer der ghanaischen Geflügelfarmer äußerte sich sehr besorgt über die wachsenden Importe aus der EU. »Wie in Kamerun ist eine große Zunahme von Hühnerfleischimporten durch den Zollabbau zu erwarten, die die ärmste Schicht unserer Gesellschaft aus dem Arbeitsmarkt verdrängt – das sind die Kleinbauern, und vor allem Frauen, die völlig abhängig vom Geflügelsektor sind. Es ist schwer vorstellbar, dass im Namen des Freihandels das Dumping von Geflügelteilen wie Hühnerbeine, -flügel und -hälse, die sowieso keinen Absatzmarkt in der EU haben, erlaubt wird.« Die EU exportiert vorwiegend Schlachtüberreste, die auf dem europäischen Markt keine Käufer finden.

Die hoch subventionierten europäischen Produkte ermöglichen Discountpreise, mit denen ghanaische GeflügelproduzentInnen nicht mithalten können. Die Unterzeichnung eines Freihandelsabkommens, das eine weitere Zollsenkung für EU-Importe implizieren würde, könnte das endgültige Aus für zahlreiche Klein- und Kleinstbetriebe des ghanaischen Geflügelsektors bedeuten.

Laut einer Nachhaltigkeitserträglichkeitsprüfung von Price Waterhouse Coopers im September 2006 könnten die EPAs auch große negative Auswirkungen auf die Umwelt haben. Um Einkommenseinbußen durch Verluste von Zolleinnahmen zu kompensieren, wären einige Staaten gezwungen, mehr Rohstoffe wie Öl oder Tropenholz zu exportieren. Zunehmende Abholzung hat dabei auch negative Auswirkungen auf das Klima, nicht nur regional, sondern weltweit.

Im Oktober 2006 schrieben der Handelsminister und der Entwicklungshilfeminister Großbritanniens einen offenen Brief, in dem sie ihre Bedenken über die Verhandlungen zum Ausdruck brachten und dafür plädierten, den Entwicklungsländern »so viel Zeit zu geben wie sie für eine Marktöffnung brauchen«. Darüber hinaus kritisierten die Minister die EU-Landwirtschaftssubventionen und forderten, dass »arme Länder die Möglichkeit haben sollten, den Import von subventionierten Nahrungsmittel zu verbieten, die die einheimische Nahrungsmittelproduktion unterminiere.«

Der Protest wächst

Die schärfste Kritik allerdings wurde im Juli 2006 von einer Delegation des Europa-Ausschusses der Französischen Nationalversammlung veröffentlicht. Der 300 Seiten umfassende Lefort-Bericht ist eine vernichtende Kritik an der EU-Kommission, insbesondere an der Generaldirektion Handel, die die Verhandlungen über die EPAs mit den AKP-Staaten leitet. Die Kritik gipfelt in der Forderung, der Kommission das bisherige Mandat für die Verhandlungen zu entziehen und ihr ein völlig neu gestaltetes Verhandlungsmandat zu geben.4»Europa begeht einen politischen, taktischen, ökonomischen und geostrategischen Fehler, wenn die Kommission auf ihrem Fahrplan beharrt und die Verhandlungen über die EPAs gegen allen Protest der AKP-Staaten bis Ende 2007 abschließen will.« So das Fazit dieses Berichts.

Der Lefort-Bericht zeigt anschaulich den großen Widerspruch zwischen den hehren Zielen der Entwicklungspolitik und des Cotonou-Abkommens einerseits und der starren Haltung der EU-Kommission andererseits, die mit dem Beharren auf Abschluss der EPAs eine gravierende Verschlechterung der ökonomischen und sozialen Lage vieler AKP-Staaten und zunehmende Armut in Kauf nimmt.

Es ist schon sehr merkwürdig, dass auf dem G8-Gipfel in Heiligendamm die armutsverschärfenden EPAs noch nicht einmal erwähnt wurden, obwohl Afrika und die Bekämpfung der Armut ein Schwerpunkt war. Damit wurde eine große Chance vertan, die weithin unbekannten EPAs öffentlich zu thematisieren und dagegen zu protestieren.

Erpressung

In der letzten EPA-Verhandlungsphase verstärkte sich der Protest der AKP-Staaten und der Druck der EU-Kommission. Auf einem Treffen im Juli mit den pazifischen Handelsministern kündigten die EU-Verhandlungsführer eine erhebliche Reduzierung der Entwicklungsgelder an, wenn die pazifischen Inselstaaten die EPAs nicht unterzeichnen. So will die Kommission 48 Prozent der zugesagten Gelder aus dem Europäischen Entwicklungsfonds für Entwicklungsprojekte in der Region nicht auszahlen, wenn kein EPA-Abkommen unterzeichnet wird. Die Entwicklungshilfegelder werden »nur« um 26 Prozent gekürzt, falls sich das EPA nur auf Waren beschränkt und andere Sektoren wie Dienstleistungen und intellektuelle Eigentumsrechte davon ausgenommen werden würden.

Das ist nicht der einzige Erpressungsversuch der EU-Kommission. Auch der ostafrikanischen Region East South Africa, ESA wurde unmissverständlich klar gemacht, dass die Höhe der EU-Entwicklungshilfegelder von dem »EPA-Liberalisierungspaket« abhängig ist. Im August hat die ESA-Verhandlungsgruppe der EU offiziell mitgeteilt, dass sie nicht mit einem EPA-Abschluss vor Ende des Jahres rechne. Sie bat die EU um eine Übergangslösung, die garantiert, dass es für die Staaten nicht zu massiven Exporteinbrüchen und damit zu Einnahmeverlusten kommt.

Europas Massenvernichtungswaffe

Aminata Traore, ehemalige Kultusministerin Malis und prominente Aktivistin Afrikas, bezeichnet die Freihandels-Abkommen als die Massenvernichtungswaffen Europas: »Europa verlangt von uns Wettbewerbsfähigkeit, aber mit China erfährt es Wettbewerbsfähigkeit am eigenen Leib und kriegt die Panik. Europa schickt uns seine Hühnerbeine, seine Gebrauchtwagen, seine abgelaufenen Medikamente und seine ausgelatschten Schuhe, und weil eure Reste unsere Märkte überschwemmen, gehen unsere Handwerker und Bauern unter. Jetzt schickt China seine Produkte nach Europa, und zwar nicht einmal Reste, sondern saubere, wettbewerbsfähige Waren. Und was tut Europa? Es diskutiert Zölle. Also sage ich: Auch Afrika darf sich schützen. Europa kann doch nicht vor China Panik kriegen und zugleich von Afrika Öffnung verlangen. Für uns sind diese Abkommen die Massenvernichtungswaffen Europas.«5

Anmerkungen:

1 Bilder der EPA-Aktionen im Internet: http://epa2007.org/main.asp?id=485

2 Wir sollten zu einer langfristigen Schaffung/Entwicklung von Exportmärkten für EU-Exporte beitragen. (We should contribute to the long term creation/development of export markets for EU exports.) Internet: http://europa.eu.int/comm/trade/issues/sectoral/competitiveness/index_en.htm

3 Alter Wein in neuen Schläuchen? Handelspolitik Aktuell BDI, April 2005

4 Internet: http://www.assemblee-nationale.fr/12/europe/rap-info/i3251.asp

5 die tageszeitung, Interview, 06. Juli 2005

Annette Groth ist Entwicklungssoziologin mit Schwerpunkt Internationale Politik, Volks- und Betriebswirtschaft, Internet: www.eurafair.de

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